Jeder ambitionierte Radsportler sollte eine Off-Season-Phase einlegen. Ein Zeitraum in dem das Rad einfach mal stehen gelassen wird, um dem Körper ein längere Erholungsphase zu gönnen. Und auch der Geist benötigt Erholung von der Trainings- und Rennbelastung. Üblicher Weise legt man diese Phase irgendwo in den Oktober oder November. Dann werden die Wettkämpfe weniger und man kann früh genug wieder für die neue Saison mit dem Training einsteigen. So ähnlich hatte ich es auch geplant, aber dann kam es anders.

Am 11. September startete plötzlich und unerwartet meine Off-Season. Und mir geht es gut damit. Der Drang aufs Rad steigen zu wollen fehlte in den letzten drei Wochen komplett. Sportliche Aktivitäten jeglicher Art waren auf Eis gelegt. Und das ohne ein körperliches Defizit. Es hat sich so ergeben. Natürlich spielen einige Faktoren eine Rolle. Ein Analyseversuch!

Die letzten zwei Events waren kräftzehrend. Sowohl physisch als auch psychisch. Dazu kommt dass der Ötztaler Radmarathon und der VulkanBike Marathon nur zwei Wochen auseinander lagen. Trotzdem hatte ich mir für die wettkampflose Zeit bis zur Off-Season Mitte Oktober ein paar Touren zurecht gelegt. Spaß-Biken ohne Vorgabe aus Trainingsplänen und ständigem Blick auf den Wattmesser.

Aber dazu kam es nicht. Am Sonntag nach dem VulkanBike Marathon habe ich mich intensiv um die Reinigung meines MTB gekümmert. Schaltwerk zerlegt und komplett gereinigt, Kurbel raus und zerlegt und komplett gereinigt. Alles wieder auf Hochglanz poliert. Und wofür? Um das Rad sauber in der Garage stehen zu haben. Ab Montags fehlte komplett die Motivation aufs Rad zu steigen. Dazu kamen noch verschiedene Verpflichtungen, die es nicht einfacher machten, eine Möglichkeit zu finden Radfahren zu gehen.

Normaler Weise werde ich unleidlich (mir nahe stehende Menschen behaupten ich werde zur Diva) wenn ich drei Tage nicht in die Pedale treten konnte. Nicht dieses Mal. Ich verschwendete keinen Gedanken daran. Auch der Körper meldete keine Signale, dass die Belastung fehlte. Alles Bestens! Und bekanntlicher Weise soll man ja achtsam mit Körper und Geist umgehen, deshalb wurden die sportlichen Aktivitäten eingestellt.

Der alte Mann und das Rad

Ich ertappe mich immer wieder dabei, dass ich aktuelle Zeiten der Strava-Segmente meiner Trainingseinheiten mit denen aus der Vergangheit vegleiche und muss immer wieder feststellen, dass ich die Zeiten von vor ein paar Jahren nicht mehr erreiche. Das ist grundsätzlich nicht weiter schlimm, aber trotzdem nervt es mich. Jetzt kann es sein, dass es einfach meinem Alter geschuldet ist oder dass es einfach nur daran liegt, dass ich anders bzw mit anderem Fokus trainiere.

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Eine Trainingsanlyse wäre hier sicherlich hilfreich, aber über meine bisherige Trainings-App steht mir diese nicht zur Verfügung und einen professionellen Trainer zu buchen ist mir zu kostspielig. Deshalb werde ich aus meiner Erfahrung schöpfen und mich nach neuen Möglichkeiten umsehen, um einen geordneten Trainingsablauf zu planen.

Die mentale Komponente

Ich habe die mentale Komponete des Radsports oder grundsätzlich des ambitionierten Hobbysports unterschätzt. Klar, Profis müssen mental genauso wie körperlich trainiert sein, aber ich als Hobbysportler? Nein! Aber wie cool, dass ich dieses Jahr den Ötztaler Radmarathon fahren durfte. Mein zeitlich längstes, mit der größten Entfernung und meisten Höhenmetern versehenes Event hat mir gezeigt, wie wichtig auch für mich mentale Stärke ist. Das ist mir allerdings erst in der Nachbetrachtung des Ötztalers und der Vereinsmeisterschaft beim VulkanBike Marathon klar geworden.

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Mental am Ende am Timmelsjoch

Mein Ziel beim Ötztaler von unter 12 Stunden zu bleiben, habe ich am Timmelsjoch verspielt. Zu oft bin ich stehen geblieben. Aber es war nicht, weil ich keine Kraft mehr hatte, sondern weil ich gedacht habe, ich hätte keine Kraft mehr. Ich glaube, wenn ich die richtige mentale Stärke gehabt hätte, wäre ich auch das Timmelsjoch durch gefahren. Ein paar Dinge haben nach der Abfahrt vom Jaufenpass nicht funktioniert, wie geplant. Anstatt mich darauf einzustellen und Alternativen zu finden, hat mich die Situation negativ beeinflusst. Und das bis nach der Zieleinfahrt.

Beim VulkanBike Marathon war es etwas anders. Da haben mich die ersten 5 Kilometer schon mental gebrochen. Der Versuch in der Startphase an Dominik dran zu bleiben und dabei weit in den roten Bereich gehen zu müssen, war erstens sehr kräftezeherend und zweitens eine mentale Herausforderung. Als Dominik trotzdem noch seinen Vorsprung ausbauen konnte, war meine Motivation und mentale Stärke bei Null. Die Leistungsdaten sprechen allerdings eine andere Sprache. Laut der Analyse konnte ich die ganze Zeit meine geplanten Wattwerte treten. Erst im letzten Drittel des Rennens spielte auch der Kopf wieder mit und ich konnte ein paar Watt drauf legen.

Meine persönliche Analyse der letzten Wochen, legen nahe dass die plötzliche Off-Season aus rein mentaler Motivation eingesetzt hat. Der Kopf war ausgelaugter als der Körper. Scheinbar hat die Vorbereitung des Körpers auf die letzten zwei großen Events der Saison 2022 sehr gut funktioniert, die Vorbereitung des Kopf wurde allerdings sträflich vernachlässigt. Die beiden letzten Events haben auch gezeigt, dass die mentale Herausforderung in jeder Phase eines Rennens auf mich zu kommen kann. Auch das ist ein Punkt auf den ich mich einstellen muss.

Neue Saison, neue Strategie

Jetzt liegen 3 Wochen Off-Season hinter mir. Keine sportlichen Aktivitäten, noch ein Gedanke daran. Die Räder stehen seit dem unberührt in der Garage. Und es war eine gute Off-Season. Zeit einige Dinge in meinem Leben zu richten und Dinge zu erledigen, für die sonst keine Zeit war. Es war eine andere Pause vom Radsport als die letzten Jahre. Ich, das bedeutet mein Geist und mein Körper, haben das Radfahren nicht vermisst. Jetzt fühle ich mich ausgeglichen und stark. Für mich beginnt heute, am 2. Oktober, die neue Trainingssaison und ich werde neue Ansätze mit alt bewährtem kombinieren. Und am wichtigsten: ich habe richtig Bock auf das Rad-Jahr 2023!

2 Gedanken zu „Plötzlich Off-Season – Befindlichkeitsprotokoll #16“

  1. Hey Ansgar / Coffee and Chainrings
    Bin erst gestern über FB auf Euch aufmerksam geworden. Deinen Off Season Beitrag hab ich eben bei meinem Morgen-Kaffee gelesen. Toll geschrieben.
    Ich habe viele Gemeinsamkeiten gefunden und damit meine ich nicht nur unser Alter 😅.
    Off Season ist bei mir auch gerade, eher ungewollt. Ein Sturz beendete die Saison schlagartig. Schien und Wadenbeinbruch, ein Aus auf ne längere Zeit…..
    Ich hätte nie gedacht, das ich überhaupt ansatzweise eine Zeit ohne Sport und Training überstehen kann.
    Und mein Fazit, jaaa es geht. Der selbstgemachte „Druck – im Kopf“ ist weg, ich bin nicht mürrisch ( oder wie du ne Diva) das Blickfeld is wieder breiter geworden, andere kleine Dinge sehe ich wieder….. Ja meine Kondion wird im Ar….sein. Muskeln sind weg. Ich werde im neuen Jahr wieder bei Null anfangen. Aber ich bin mental stark, hab Zeit gehabt zum durchatmen. Ziele sind neu gesteckt, 2023 wird ein Aufbaujahr ohne Stress. Ich denk, so ein kleiner Reset ist gar nicht schlecht. Tut gut und stärkt ungemein. Mit neuer Energie und neuen Zielen geht’s ins Jahr 2023.
    Ich freue mich auf weitere klasse Berichte von Euch. Vielleicht findet ihr mal den Weg hier ins Zittauer Gebirge.
    Bleibt gesund und sport frei.
    Gruss Heiko

    1. Hallo Heiko! Vielen Dank für Dein positives Feedback. Ich glaube das wäre für mich viel härter durch eine Verletzung ungewollt in die Off-Season gehen zu müssen, auch wenn man dem nicht entgegenwirken kann. Für mich ist es gefühlt einfacher aus mentaler Motivation in die Offseason zu gehen, da ich immer die Möglichkeit hätte, direkt wieder einzusteigen. Bei einer Verletzung ist das leider nicht so. Deshalb Respekt für Deinen Umgang mit der Verletzung und der dadurch bedingten Pause. Ich denke bei Null wirst Du nicht anfangen, selbst bei längerer Pause erinnert Dein Körper sich an vergangene Leistungen! ;-) Deine Einstellung gefällt mir und ich wünsche Dir, dass Du ein erfolgreiches Rad-Jahr haben wirst! Liebe Grüße, Ansgar

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