Tims Bericht

31 Runden, 201,5km, 12h40min29s, 29GK, 8AK. Ich führe diese Zahlen hier ganz oben an, damit wir sie schnell wieder vergessen können, denn sie sollen nicht im Mittelpunkt dieses Berichtes stehen.

Mein erstes 24h Rennen seit meinem ebenso überraschenden wie auch starken (das wird man ja wohl mal sagen dürfen, ohne komplett unsympathisch zu wirken, oder?) 4. Gesamtrang in Duisburg 2018 sollte eigentlich am Nürburgring stattfinden. Als Rad am Ring aus bekannten Gründen nicht zustande kam, war mit der Night on Bike in Radevormwald schnell eine passende Ersatzveranstaltung mit hervorragendem Ruf gefunden. Nach einer sehr guten Bike Transalp und einer kurzen Regenerationsphase sollte einem „Top-Ergebnis“ eigentlich nichts im Wege stehen. Das anspruchsvolle Profil der auf 6,5km eingedampften Runde mit ca. 150hm und verhältnismäßig hohem Trailanteil müsste mir entgegenkommen und eine schöne Standortbestimmung hinsichtlich einer möglichen WEMBO Weltmeisterschaft in Finale Ligure im nächsten Jahr liefern.

Also ging es am Samstag morgen gut gelaunt ins Bergische, wo meine allerliebste Betreuerin und Ehefrau Dini und ich uns mit dem Rest der Bande trafen, um das Camp zu beziehen. Der Rest der Bande, das war zum einen der Coffee & Chainrings 4er, bestehend aus Alex, Schildi, Markus K. und Martin, sowie das Betreuer Dream-Team Dini und Nini, die dieses Mal Unterstützung von unserem alten Bekannten Henning (Danke für den Wohnwagen!!), sowie Martins Partnerin Rebekka bekamen. Ein absolutes Privileg, in solch einem positiven und gleichzeitig fokussierten Umfeld Sport betreiben zu dürfen. Ich kann mich an keine Minute erinnern, in der nicht irgendwo gelacht wurde. Vielen, vielen Dank! Das gilt ebenso für die unzähligen Besucher in unserem Camp, von denen ich auf der Stecke nur einen Teil ausreichend wahrnehmen und würdigen konnte, wie zum Beispiel Maren, oder unseren Donato samt Familie und viele mehr.

So startete ich um 12:00Uhr vom Teamzelt in ein vermeintlich 24-stündiges Abenteuer. Zum Material sei gesagt, dass ich mich frühzeitig und nach Betrachtung der klassischen NOB-Streckenführung mit einer ausgiebigen Asphaltpassage, für mein Hardtail entschieden hatte, und dummer Weise den Dämpfer meines Fullys zur Wartung einschickte. Im Nachhinein wäre ein Fully die beste Wahl auf dieser Strecke gewesen. Aber man hat was man hat und da muss man dann mit umgehen. Was ich auch hatte, war die richtige Reifenwahl, nämlich die Schwalbe Thunder Burts in 2,25, tubeless montiert mit schön niedrigem Luftdruck. Ideal bei diesen trockenen Bedingungen. Eine Sache hingegen hatte ich nicht bedacht beziehungsweise zu spät. Noch nie war ich ein 24h-Rennen mit einer 1×12 Übersetzung gefahren und es wäre durchaus schlau gewesen ,ein 30er Kettenblatt zu montieren, wie Coach Torsten es mir geraten hatte.

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Lag es am Setup? – eher nicht

Mein Rennen kann ich grob in drei Phasen zusammenfassen.

  • 12:00 – 16:00Uhr: Ich fahre ein gutes Tempo, rangiere um Platz 5. Die Leistungswerte und vor allem die gefühlte Pace passen ganz gut, wie ich finde. Ich komme zwar noch nicht in einen richtigen Rhytmus auf dieser unrhytmischen Strecke, bin aber zuversichtlich, dass ich, wie sonst auch, die Leistung in einen „Steckenschlag“ umsetzen kann und die Maschine bald anlaufen wird. Spätestens ab Stunde 10 laufe ich dann üblicherweise auf Autopilot.
  • 16:00 – 22:00Uhr: Ich bekomme Magenschmerzen, zusätzlich das Gefühl, dass alle Kalorien, die ich in mich hinein stopfe, einfach in meinem Magen liegen, aber nicht bis zu den Beinen kommen. Mit knapp 30°C ist es relativ heiß. Ich kenne dieses Gefühl und rechne damit, dass sich alles einpendelt, wenn die Dämmerung langsam einsetzt, merke aber auch, dass ich jede Runde langsamer werde. Auch die Dämmerung bringt keine Besserung. Zwar helfen Melone und Cola, dass Völlegefühl zu mildern, aber dafür schmerzt der Magen nun als hätte mir jemand einen Hieb versetzt. Seltsam, dass der Verfall nicht aufhört, eigentlich müsste ich schon bei konstanten Rundenzeiten angelangt sein. Aber die Nacht wird kommen. „Die Nacht ist mein Freund“ heißt das Mantra, mit dem ich durch schwere Zeiten in der Dunkelheit komme, weil es der Wahrheit entspricht. Für gewöhnlich kann ich Nachts noch einmal anziehen, wenn viele Kontrahenten schwächeln.
  • 22:00 – 0:30Uhr: Die Magenschmerzen werden stärker. Spätestens seit dem Lichtwechsel (21:00Uhr) fahre ich im „einfach weitertreten, es wird auch wieder besser“ Modus. Wird es aber nicht. Obwohl Henning, Dini und die anderen alles tun, um mich zu päppeln und mir zuzureden. Immer wieder fahre ich „noch eine Stunde“, um sie nicht mit den dunklen Gedanken an Aufgabe zu enttäuschen, die in mir wachsen. „Sind es nur Endurance Dämonen oder geht es Dir wirklich schlecht?“ Das ist die Frage, die ich mir immer wieder stelle. „Bin ich auf der Suche nach Ausreden oder gibt es wirklich einen Grund aufzuhören?“
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Es geht gar nicht mal so gut – obwohl alle helfen

Lange Rede, kurzer Sinn: irgendwann zwischen Mitternacht und 1:00Uhr entscheide ich, nicht mehr weiterzufahren. Warum dies eine richtige Entscheidung war, möchte ich aber kurz erklären. Nicht, um darzustellen wie hart ich bin und was alles passieren musste, sondern weil in einer Zeit, in der die verrücktesten Audauerleistungen selbstverständlich werden, der verantwortungsbewusste Umgang mit unserem Körper zu oft in den Hintergrund gerät.

In den 14 Tagen vor der Night on Bike litt ich unter Magen-Darm und Nieren-Schmerzen, war beim Arzt, der erstmal keine Ursache diagnostizieren konnte, setzte mit dem Training aus, ging weiter zur Arbeit und hoffte auf Besserung. In der Zeit sagte ich mir oft, „ein 24h Rennen bestreitest Du nur, wenn Du zu 100% fit bist“. Das war ich anscheinend nicht. Zwar war ich seit einer Woche auf dem Weg der Besserung und 3 Tage nahezu beschwerdefrei, als ich mich in Radevormwald an den Start stellte, aber im Laufe des Tages stellte sich heraus, dass die Schmerzen, die ich verspürte, wieder genau jene waren, die ich aus den vergangenen Wochen kannte. Also hörte ich auf meinen Körper und beendete das Abenteuer Night on Bike für das Jahr 2021. Bevor ich etwas auslöse, dass schlimmere Konsequenzen haben könnte als nur ein doofes Gefühl wegen einer Renn-Aufgabe. (und ja, natürlich lasse ich das noch vom Arzt weiter diagnostizieren).

Auch heute, zwei Tage später, bin ich noch glücklich mit meiner Entscheidung. Beim Erbringen von sportlichen Leistungen, die über den individuellen Trainings- und Wettkampfalltag hinausgehen, bedarf es meiner Meinung nach immer auch Fingerspitzengefühl richtig abzuwägen und zu entscheiden, geht es mir gerade schlecht, weil mein Körper „denkt“ ich will ihn umbringen – oder weil ich meinen Körper umbringe. Bei der Auswertung der Daten verschiedener Messsysteme, bestätigte sich dann auch mein Körpergefühl. Das die Leistungswerte sich im Sturzflug befanden, hatte ich ja bereits angedeutet ,aber auch die Betrachtung der Herzfrequenz lässt darauf schließen, dass ich spätestens ab 16:30Uhr einen Erschöpfungszustand erreicht hatte, den ich normalerweise in 20h nicht „hinbekomme“, dort war ein rapider Abfall des Durchschnitts und eine Kappung der Spitzen extrem auffällig. Aber einen der interessantesten Aufschlüsse darüber, was passiert war, lieferte mir der Supersapiens Glucose Sensor. Ich konnte zu keinem Zeitpunkt den angepeilten Glucosepegel in meinem Leistungsbereich von >120mg/dl einstellen, was mir bei ähnlicher Ernährung und Belastung stets gelungen war. Mit der Verdauung funktionierte also wirklich etwas nicht. Vielleicht an anderer Stelle hierzu mehr.

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Tim, Schildi, Markus, Alex, Martin, Henning, Nini, Dini, Rebekka

Festzuhalten bleibt, dass ich nun doch tatsächlich zum ersten Mal eine Rechnung mit einem 24h Solo-Rennen offen habe aber vor allem, dass ich nach einem kurzen nächtlichen Nickerchen noch einen riesen Spaß mit unserem 4er Team und dem „Betreuerstab“ haben durfte. So kann man im Endeffekt sagen, ich habe potentiell gesundheitsgefährdende Quälerei gegen ein tolles Teamevent mit viel Gelächter und toller Atmosphäre getauscht. Und außerdem wieder einmal viel gelernt. 1000 Dank dafür an alle Beteiligten.

Jetzt heißt es Mund abputzen, beziehungsweise Gesund werden, und weitermachen. Mit dem Vulkanbike in Daun stehen die Vereinsmeisterschften auch schon vor der Tür. Attacke!

2 Gedanken zu „Meine Night on Bike 2021“

  1. Gute Besserung,
    und schade das du uns nur als Ersatz für ein anderes Rennen siehst :-)
    Aber du kommst wieder, und dann wird die Strecke bestimmt wieder schön werden.
    Wir haben da einen Verrückten Plan :-)
    best
    Sven

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