Am Freitag, 26. Februar 2021 war es soweit. Alex und sein Bike Kumpel Rainer starteten ihr kleines Mikroadventure durch die Nacht. Aber halt, was ist denn überhaupt ein Mikroadventure? Der britische Abenteurer und Schriftsteller Alastair Humphreys definiert den Begriff als Abenteuer, die jeder im Alltag und in seiner Umgebung erleben kann, als Outdoor-Erlebnis vor der eigenen Haustür, wortwörtlich als „Adventures that are close to home“
Bei meinem persönlichen Mikroadventure sollte darüber hinaus auch die körperliche Herausforderung eine wichtige Rolle spielen. So war es mir wichtig eine Strecke zu planen, die zum einen realistisch für mich zu schaffen ist, aber trotzdem herausfordernd genug, dass ein Scheitern möglich erscheint. Darüber hinaus definierte sich unser Mikroadventure durch die Entscheidung im Winter zu fahren und das ganze am Abend zu beginnen und bis in die späte Nacht hineinzufahren.
Und so starteten wir am Freitagabend (fast) Pünktlich um 20:10 Uhr (denn ich hatte mein Handy vergessen und musste vom Startpunkt nochmal 3km wieder zurück nach Hause radeln, um dieses zu holen) zu unserem Abenteuer auf die gut 100km lange Strecke durch Velbert, Essen, Hattingen und Wuppertal. Da wir beide hoch motiviert waren und richtig viel Bock hatten, freuten wir uns endlich loszukommen und uns dieser Herausforderung zu stellen.
Die ersten zehn Kilometer der Runde waren recht hügelig und wir rollten so gut los, dass ich Rainer nach ca. 30 Minuten Fahrtzeit japsend mitteilen konnte, dass das hohe Tempo zwar Spaß macht, ich so aber in Essen sicherlich die Runde mit Laktatüberschuss in den Beinen beenden müsste (Rainer ist definitiv eine ganze Ecke fitter als ich und ein Duracell Häschen). Und so näherten wir uns in den nächsten Kilometern einem guten, gemeinsamen Schnitt an. Wie sich später in Essen herausstellen sollte, hatte während der Fahrt eine Spinne begonnen zwischen meinen Lenkerenden ein Spinnennetz zu spannen. Ich lass das jetzt einfach mal so hier stehen.
Habe ich eigentlich schon erwähnt, dass wir wirklich großartiges Glück mit dem Wetter hatten? Denn so war der Himmel sternenklar und es war zufällig Vollmond. Daraus ergab sich eine geniale Stimmung und man konnte stellenweise durch den hellen Mondschein auch ohne Beleuchtung unheimlich viel in der ansonsten tiefschwarzen Nacht erkennen. Der einzige Nachteil war, dass durch den klaren Himmel die Temperaturen deutlich niedriger ausfielen als angekündigt und wir zu unserer Überraschung bis zu -1°C erreichten.
Gut eine Stunde nach dem Start hätte der Nightride schon zu Ende sein können, als sich der Klettverschluss meines Scheinwerferakkus bei ca. 40km/h in einer Abfahrt löste, der Akku somit nur noch am Lampenkabel hing und dieser mehrfach gegen die Vorderradspeichen schlug, sowie von diesen zurückgeschleudert wurde. Zum Glück hat sich der Akku NICHT in den Speichen verfangen und das Kabel ist NICHT abgerissen und ich bin NICHT auf die Nase gefallen.
Da ich mit diesem Setup bereits seit drei Jahren unterwegs bin und noch niemals den Akku verloren habe, sieht man umso mehr wie schnell trotz guter Vorbereitung ein solches Unterfangen beendet sein kann (da die Laufzeit meiner Lampe bei über 8 Stunden liegt und wir von 4-5 Stunden Bruttofahrtzeit ausgingen, habe ich davon abgesehen eine Ersatzlampe einzupacken). Auch hätte das ganze bei einem Sturz sehr schnell im Krankenhaus enden können.
Nachdem die Technik kontrolliert und der Akku wieder neu gesichert war konnten wir unsere Fahrt Richtung Essen ohne weitere Ausfälle oder Defekte fortsetzen. Die ersten 50km rollten sich dabei auch wirklich gut und wir konnten die Vollmondnacht bei einer kurzen Riegelpause am Baldeneysee voll und ganz genießen. Bemerkenswert war in diesem Zusammenhang die totale Ruhe.
Durch das kalte Wetter und den Corona-Lockdown waren wir praktisch komplett alleine auf der Strecke und selbst an Orten wo tagsüber reger Publikumsverkehr ist, war nichts zu hören, außer einiger Enten und Schwäne auf dem Wasser.
Eine unbeschreibliche, unwirkliche Stimmung, für die allein sich das ganze schon gelohnt hätte.
Durch den Vollmond spiegelten sich am gegenüberliegenden Ufer die Bäume im spiegelglatten Wasser, Nebelschwaden lagen dicht wabernd über der Wasseroberfläche und ein gutes Dutzend Wasservögel wunderte sich über die Radsportler, die hier um halb zwölf in der Nacht diese Stimmung in sich aufsaugen durften.
Nachdem wir minutenlang diesen Anblick genossen hatten ging es auf den 2., körperlich anstrengendere Teil der Strecke. Bis zu diesem Punkt verlief diese auf fast ausschließlich gut gepflegten, asphaltierten (ex) Bahntrassen und wir machten zügig Kilometer.
Hinter dem Baldeneysee ging es aber zunächst dann im Zickzackkurs am und über den Fluss und durch frisch abgetrocknete Überschwemmungsflächen. Als wir dann in Hattingen den Lauf der Ruhr verließen wies mich Rainer darauf hin, dass wir jetzt in die Steigung gehen, an der man genau sieht, wer bis dahin zu viel Gas gegeben hat (danke nochmal Rainer, dass Du mich UNMITTELBAR vor der Steigung darauf hingewiesen hast und nicht schon am Anfang, wo das Tempo so hoch war ;-)).
Tatsächlich fraßen diese gut 200 Höhenmeter auf der 14km langen Bruchsandstrecke ganz schön an meinen Körnern und der immer nur bis zum Ende des Lichtkegels reichende Blick half nicht bei der Überwindung der Strecke. Ich erinnere mich noch an Rainers Worte: Nur noch am neuen Kreisel vorbei und dann einmal über die Straße, und dann sind wir am Tunnel Schee. Na, das kann ja nicht so weit sein, dachte ich mir. Aber denkste, bis zum Kreisel waren es locker nochmal 20 Minuten und so zog sich das ganze wie Kaugummi.
Zu diesem Zeitpunkt merkte ich auch neben der körperlichen Erschöpfung (ich war mir rein körperlich an der Stelle schon bewusst, dass ich die Strecke schaffen werde) vor allem eine totale Müdigkeit, stärker werdende Magenprobleme und geistige Erschöpfung, die bis zum Ende nur noch zunehmen sollte. Obwohl es nach dem langen Anstieg die letzten 15km nur noch flach oder bergab ging, war bei mir die Luft raus. Es war mittlerweile ca. kurz nach halb eins und ich hatte auf dem Rad das Gefühl auf der Stelle einschlafen zu können und zu wollen. Die Beine wollten zu diesem Zeitpunkt auch nicht mehr und so war ich glücklich bei Rainer etwas im Windschatten lutschen zu können.
Um 01:15 kam ich endlich nach 111 km, 630 Höhenmetern und 4 Std. 40 Minuten Netto Fahrtzeit wieder zu Hause an. Meine Gedanken überschlugen sich zu diesem Zeitpunkt. Zeitgleich dachte ich: „Man war das cool, wir planen bald das nächste Event; Scheiße ich will ins Bett; Mama ich hab Hunger; unglaublich was für schöne Eindrücke ich hier mitgenommen habe; Geil, ich bin endlich mal wieder ne echte Langstrecke gefahren; usw..“ Tatsächlich war ich von dem Tag dermaßen platt, dass ich nur meine Radklamotten und das Rennrad in den Flur gestellt habe und ich ungeduscht ins Bett gefallen bin.
Mit diesem Beitrag habe ich Euch hoffentlich motiviert euer eigenes, kleines Mikroadventure vor der Haustüre zu planen. Es spielt dabei überhaupt keine Rolle, ob das Tags oder Nachts ist, ob ihr es alleine oder gemeinsam mit anderen macht, oder ob Ihr in der Wildnis seit oder nicht. Nutzt die Chance, geht aus Eurer Komfortzone raus und probiert etwas aus, das für Euch Neuland ist, wo Ihr eventuell scheitern könntet, oder wo Ihr eine gewisse Überwindung aufbringen müsst. Die Erlebnisse und Erinnerungen sind unbezahlbar und einmalige, besondere Momente findet sich auch vor Deiner Haustüre.
Natürlich haben wir uns im Vorfeld genaue Gedanken zu der Ausrüstung gemacht und diese entsprechend unserer Erfahrung geplant. So habe ich die Laufzeiten meiner Beleuchtung bei niedrigen Temperaturen vorab geprüft, ausreichend Verpflegung eingesteckt und auch 100,-€ + FFP2 Maske waren in der Tasche um in der Not auch ein Taxi zahlen und nutzen zu können. Auch bei der Bekleidung war ich mit gut sichtbarer Neon Jacke, Winterschuhen und dicken Winterhandschuhen gut für das Wetter gerüstet. Trotzdem hat mir der Beinaheunfalle mit dem Akku gezeigt, dass selbst bei bester Planung plötzlich etwas schief gehen kann.
Und dann ist es wichtig, sich selbst helfen zu können.