Vorwort der Redaktion
Seit April sinken die Coronazahlen rapide und viele Bikeregionen öffnen langsam wieder für Ihre Gäste, sodass wir als Radsportler auf ein paar schöne Wochen in den Bergen hoffen dürfen, oder vielleicht sogar schon geplant haben.
Unser Gastautor Da Reverend (bürgerlicher Name der Redaktion bekannt) hat sich für uns die Mühe gemacht und seine Eindrücke und auch einige Empfehlungen aus dem Gardertal und dem Hochpustertal in den Dolomiten niedergeschrieben.
Falls Euch also unser Trans Alp Berichterstattung Lust auf die italienischen Berge gemacht hat, ist der nachfolgende Bericht bestimmt eine tolle Anregung für Euch.
Wir wünschen Euch viel Spaß beim lesen.
Eure Redaktion von Coffee and Chainrings
Prolog
Was macht man mit einem Monat Freiheit ab Ende Mai?
Vordergründig war die Antwort für mich einfach: Verreisen, und zwar mit Fahrrad. Nur wohin? Frankreich war noch nicht erlaubt. Mallorca ist sehr schön, aber dort war ich vor kurzen. Aus Italien kamen Signale, dass man ab Mitte Mai wieder Einreise zu Vergnügungszwecken erlauben würde. Immer mal wieder gerne war ich ja im oberen Gadertal. Mein Lieblingshotel bot zu Saisonbeginn die geräumige Junior Suite zum Standardzimmertarif. Sommerlich warm allerdings würde es erst mal nicht sein.
Egal, in den großen Koffer passt auch noch lange Radbekleidung rein – ins eher kleine Auto dann aber nur noch ein Fahrrad. Da ich kein modernes Kann-alles-ein-bisschen-aber-nix-richtig-Fahrrad (a.k.a. Gravelbike) besitze, stellte sich die schwierige Frage: Straßen- oder Geländefahrrad? Am Ende bekam das MTB den Zuschlag.
Bild 1: Oberes Gadertal, vermarktet als „Alta Badia“.
Die erste Halbzeit: Alta Badia vom 25. Mai – 4. Juni 2021
Die Durchreise durch Tirol und die Einreise nach Südtirol verliefen unspektakulär – lediglich an der deutsch-österreichischen Grenze wurde stichprobenartig kontrolliert (was auch immer). An der Hotelrezeption lege ich meine Corona-Schnelltestbescheinigung vor und das war es.
Herberge und Ort sind noch nicht ganz aus dem Winterschlaf erwacht: Die wirtschaftlich wichtige Wintersaison war ausgefallen, Ende Mai sind noch nicht viele Gäste da. Anfang Juni verbessert sich die Auslastung, wenngleich Speisesaal und Parkplatz sich nie komplett füllen.
Dank meiner mittlerweile neun Jahre umfassenden eigenen GPS-Aufzeichnungen und der zahlreichen Vorschläge von Hotelier Klaus herrscht kein Mangel an Inspiration für Radtouren. Ich stoße allerdings auf unerwartete Hindernisse: Zum einen liegt in höheren Lagen noch ungewöhnlich viel Schnee, so dass viele Streckenabschnitte unpassierbar sind. Winterschuhe hab ich nämlich nicht dabei.
Außerdem hat der viele Schnee viele Bäume dahin gerafft, so dass ich immer wieder absteigen oder umkehren muss, weil Stämme kreuz und quer liegen – oder weil Wege wegen Gefahr oder Forstarbeiten behördlich gesperrt sind. Im Rahmen dieses längeren Aufenthaltes kann ich das gelassen nehmen; im Zusammenhang mit den fast menschenleeren Wegen fühle ich mich wie ein Pionier. Optisch sind die weißen Berglandschaften jedenfalls beeindruckend.
Exkurs: Hipsteralarm I
Als ich eines Tages von der Tour zurück kehre, herrscht auf dem Parkplatz Hochbetrieb: Ein Wohnmobil und ein geräumiger Transporter mit slowakischem Kennzeichen spucken Rennräder und Laufräder im Dutzend aus. Tagelang rätsele ich, was hier vor sich geht – die teuer ausgestatteten Rennräder hängen meist in der Bikegarage, wenn ich mittags aufbreche. Trainingslager geht anders. Vom Balkon meiner Suite beobachte ich schließlich, wie je zwei sportlich aussehende junge Männer und Frauen in schicken Klamotten mit den Fahrrädern drei Mal die Hotelzufahrtsrampe hoch- und wieder runter fahren, absteigen, aufsteigen, zwischendurch einen Café trinken, Windwesten scheinbar sinnlos an- und wieder ausziehen. Zwei andere Typen schwirren knipsend um die vier herum. Nun ist klar, dass hier Models und nicht Rennfahrer am Werk sind. Am nächsten Tag sind sie verschwunden. Vielleicht sehe ich die Bilder ja mal – Hinweise willkommen.
Die zweite Halbzeit: Alta Badia vom 5. Juni – 15. Juni 2021
In der zweiten Halbzeit nutze ich zwischenzeitliches Regenwetter für eine dreitägigen Pause. Zur aktiven Erholung bewandere ich die gegenüberliegenden Armentarawiesen – zu Fuß hat man nötigenfalls eine Hand für den Regenschirm frei.
Danach teste ich nach und nach noch mal die Schneefelder durch, und siehe da: Viele waren bereits so weit zusammen geschmolzen, dass sie kein ernsthaftes Hindernis mehr darstellten. Zumal angesichts höherer Temperaturen nun etwas Schmelzwasser im Schuh erträglich schien.
Bild 2: Ütia Vaciara unterm Peitlerkofel, Ende Mai.
Bild 3: Selbe Stelle, Anfang Juni.
Bild 4: Statt Schnee nun Tausende wilder Krokusse.
Bild 5: Selbst über 2.000 Metern s.l.m. wird es schließlich Sommer.
Bild 6: Mitte Juni sind auch fast alle Hütten wieder in Betrieb.
Exkurs: Hipsteralarm II
Nichtsahnend schließe ich die sehr geräumige Fahrradgarage auf. Bislang war noch reichlich Platz, nun aber hängt alles voll mit nicht zu billigen Gravelbikes – von Kunststoffleichtbau bis handverlötetem Stahlrohr. Reifenbreite meist so wie bei meinem MTB. Am nächsten Tag wuseln Mechaniker herum; nur Fahrer sind seltsamerweise nicht in Sicht. Das ändert sich am Folgetag, denn am Montag beginnt die exklusive Alta Badia Gravel Bike Woche. Mit Testbikes führender und aufstrebender Hersteller, Grillabend (genannt Barbeque), Zeltübernachtung (heißt Overnighter) und Vollbart zum Ankleben. Ein Event.
Nachspielzeit: Hochpustertal vom 16. Juni – 25. Juni 2021
Die Wetteraussichten sind weiterhin günstig, für die Kleidung gibt es Lösungen (Wäscheservice des Hotels sowie nagelneuer Waschsalon am Ortseingang von Corvara), Mann und Maschine funktionieren noch tadellos. Kein Grund zur Abreise. Vielleicht könnte ich ja noch mal die spektakuläre Marchkinkele-Tour wiederholen? Und der Dürrensteinhütte einen Besuch abstatten? Leider zu weit weg von Badia, also muss ich mir eine Bleibe im Pustertal suchen. Da ich scheibchenweise buche, muss ich zwei Mal umziehen, denn langsam füllen sich die Hotels – zumindest am Wochenende. Das erweist sich aber als Glücksfall, denn bei gleichem Preisniveau verbessere ich mich mit jedem Umzug.
Mittlerweile ist es tagsüber sehr warm, was allerdings die Wahrscheinlichkeit von Gewittern am Nachmitag erhöht. Ich habe aber Glück und werde nie ernsthaft nass. Die komplette Marchkinkele-Runde scheitert leider an einem Verbotsschild, welches damals bei der Tour mit Sandra und Markus noch nicht da stand. (Oder haben wir es anno 2017 einfach übersehen?)
Dennoch gelingen einige schöne Touren, als sehr hilfreiche Zubringer erweisen sich einmal mehr die weitgehend abseits der Hauptstraßen geführten percorsi ciclabili (Radwege).
Bild 7: Historische Militärstraße zum Marchkinkele – beeindruckend in Trasse und Aussicht
Bild 8: Monte Cristallo Gruppe von der Dürrensteinhütte – auch nicht schlecht!
Südtirol von A bis Z
Beste Reisezeit: Juni bis Anfang Juli. Insbesondere in der zweiten Junihälfte haben die meisten Hütten / Rifugios bereits geöffnet und mit etwas Glück ist es schon sommerlich warm. Im Juli und August ist Hochsaison; ein Einheimischer sprach von „Invasion“. Je nach Wetter ist mutmaßlich auch der September noch geeignet. Besonders in Alta Badia ist die Sommersaison aber recht kurz.
Elektromofas: Diese Seuche grassiert auch in Südtirol, und zwar nicht nur auf den Talradwegen. Immerhin sind die Dinger noch so schwer, dass Touren mit Tragepassagen kaum möglich sind.
Tourendaten: Meine Touren inkl. Kommentaren und Bildern kann jeder einsehen, der bei STRAVA angemeldet ist und mich dort findet (Da Reverend). Die Tourenvorschläge von Hotelier Klaus ab Badia gibts auf Komoot via Hotelwebsite.
Unterkunft: Mein Lieblingshotel in Alta Badia hat den klangvollen Namen Melodia del Bosco und bietet neben allerlei Angeboten speziell für Fahrradfahrer auch herausragendes Abendessen. Im Hochpustertal würde ich wieder das Hotel Emma in Niederdorf wählen, welches immerhin einen geräumigen und sicheren Fahrradabstellraum bietet (sogar mit Stromsteckdose an jedem Stellplatz – keine Ahnung, wozu). Standluftpumpen sind auch vorhanden. Hier kein Werkzeug, aber ein Fachgeschäft um die Ecke. (Diese Werbung erfolgt aus Überzeugung des Autors und ohne Kenntnis oder Gegenleistung der Hotels.)
Preisniveau: Die von mir gewählten Hotels sind mit EUR 80 bis EUR 100 pro Nacht (Einzelzimmernutzung inkl. Halbpension) nicht billig, aber vergleichsweise preiswert, wenn man den tadellosen Zustand und das gute Abendessen berücksichtigt. Bei den Hütten / Refugios gibt es deutliche Preisunterschiede – für vergleichbare Mittagsmahlzeiten (hausgemachte Pasta inkl. zwei Kaltgetränke und unverzichtbaren Café) habe ich zwischen EUR 20 und EUR 30 bezahlt. Gut war es (mit einer Ausnahme) immer.