Die Salzkammergut Trophy A-Strecke ist mit ihren 211km und über 7000hm für ihre Schwierigkeit bekannt und gehört den bekanntesten und schwersten Mountainbike-Eintagesrennen in Europa. Tim bereitete sich ein halbes Jahr auf dieses Event vor und finishte nach 15.39h das Rennen. Möge er das schwarze T-Shirt mit Stolz und Ehrfurcht vor seiner eigenen Leistung tragen. In seinem emotionalen Rennbericht nimmt dich Tim noch einmal mit auf die 211km durch die Alpen.
Um das Erlebte zu verstehen, dass Tim vor einer Woche bei der Salzkammergut Trophy erreicht hat und welchen emotionalen Stellenwert dieses Rennen für ihn im seinem 10. Jubiläumsjahr #moun10bike hatte, bedarf es einen Sprung zurück. Denn vor zehn Jahren stand Tims Rennfahrerkarriere beim Start seines ersten Rennens bereits vor dem Ende. Aber es kam zum Glück anders und seitdem konnte Tim so manches episches Highlight als Mountainbiker erleben, die Salzkammergut Trophy toppt aber bisher nichts.
Geh Dir jetzt die Startnummer holen und dann fährst Du einfach.
„Hallo Mama?“
„Ja, Sohnemann. Wolltest Du nicht…?“
„Ist Nadine bei Dir? Gib mir die mal.“
„Hallo?“
„Ich komm wieder nach Hause! Das ist ja Wahnsinn! Die sind alle sooo fit. Du müsstest mal die Beine sehen! Und die Fahrräder! Ich trau mich nicht! Und außerdem weiß ich auch gar nicht, wo es diese Startnummern gibt und alles…“
„Aber Du wolltest das doch. Geh Dir jetzt die Startnummer holen und dann fährst Du einfach und versuchst nicht zu fallen! Ist doch egal, was die anderen alles machen“
Ziemlich genau so verlief das entscheidende Telefonat zwischen mir und meiner lieben Frau im Juni 2008. Ich saß vor meinem ersten MTB Marathon in meinem Auto und traute mich nicht heraus, geschweige denn auf mein Bike. Das war nur wenige km von zu Hause entfernt im nahegelegenen Groesbeek bei der legendären „Hel van Groesbeek“ und beinahe das Ende meiner „Rennkarriere“. Kurz danach startete ich mit zitternden Händen und vor Angst wackelndem Lenker dann doch, um 5h und 70km später glücklich im Ziel zu stehen.
Der schönste Moment des Rennens? Die Zieldurchfahrt!
„Jaaaaa Mann!! Jaaaaaa!“ in Mitten dem Jubel der Zuschauer reiße ich die Arme in die Luft. Es wird auf Banden geschlagen, laute Musik plärrt, irgendwo verkündet der Streckensprecher meinen Namen. Ich höre meinen eignen Freudenschrei kaum. Was für ein Tag. Ich möchte weinen, doch irgendwie ist hier kein Platz sich mal hinzusetzen. Überall, sind Leute. Wo ist Nadine? Ich kann nichts mehr und alles zur gleichen Zeit. Ich habe es geschafft, die A Strecke der Salzkammerguttrophy über 210,2km und 7119hm ist bezwungen, alle Zeitlimits eingehalten. Bäm!
Salzkammergut Trophy 2018
Um 5.00Uhr morgens war ich genau an diesem Ort gestartet. Konzentriert und gut vorbereitet. Über 7000 Trainingskilometer waren es alleine 2018 bis zu diesem Zeitpunkt. Trainiert hatte ich aber schon seit November 17 für diesen Moment. 1,9kg Verpflegung am Rad verstaut, Regenjacke, Oberrohrtasche und Powerbank zeigten, wie sinnvoll es war vorher selber ein paar kg abzunehmen. Nur nicht überpacen. Beinahe schon gemächlich gehe ich die ersten beiden Anstiege an. Den höchsten Puls erreiche ich auf der ersten Tragepassage zwischen Rehkogl und Raschberg. Zu steil, zu felsig, zu viele Starter. Wenn das so weitergeht, Prost Mahlzeit. Geht es nicht. Danach ist das Feld angenehm entzerrt. Dass ich nicht so entspannt bin, wie ich denke, merke ich als ich am ersten gerölligen Trail zwei Mal stürze. Völlig sinnfrei, einmal beim wieder aufsteigen. Ein freundliches „ey, langsam fallen!“ eines Österreichers erdet mich wieder und ich komme von nun an sturzfrei durch. In der ersten Hälfte des Rennens gibt es ein paar schöne Trails und ich kann die Downhills rund um die ewige Wand und die deren Namen ich alle nicht kenne sogar genießen. Durchaus attraktive Strecke und nur verantwortungsbewusst in den letzten Teilen einer über 200km langen Strecke an kniffligen Trailabfahrten zu sparen.
Gedankenspiele im Rennen, die Krise im Kopf
Ca. 4 oder 5h gefahren, die Sonne brennt meine Armlinge habe ich bereits an der letzen Verpflegung abgegeben. Zum ersten Mal bemerke ich, dass mein Magen schon relativ voll ist. Ist mir etwa ein bisschen unwohl? Hoffentlich bekomme ich die nötigen Kalorien rein bei dem Wetter. Und die Flüssigkeit erst. Nur ein kurzer Moment des Zweifels. Einfach weiter treten, Panoramen und Trails genießen, wird schon passen.
Nach ca. sieben Stunden wird es schon etwas ernster. Ich fühle mich müde. Der Fokus ist noch da aber ich frage mich, nun da eine reguläre Langstrecke absolviert ist, wie und ob ich das wirklich schaffen kann. Aus ein bisschen unwohl werden leichte Magenschmerzen. Ich hatte bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht auf mein Oberrohrtape mit den Zeitlimits geschaut. Kurzer Check, sieht gut aus. Die Entscheidung. Keine schweren Kalorien an der nächsten Labe, ein Stück Laugenstange, Wassermelone, das erste von drei koffeinhaltigen Gels, die ich mitgenommen hatte und eine Kombination von Aminosäuren in Tablettenform. Alles richtig gemacht. 10 Minuten später bin ich wieder in der Spur.
Nächste Minikrise bei 10h. Das kann doch nicht immer so lange hoch und nur so kurz runter gehen. Hört das denn nie auf? Ich kenne die Antwort, sie heißt „so schnell nicht“. Der Sieger ist schon im Ziel und mein nächstes Mini Ziel ist der Salzberg. In meiner Vorstellungist es danach nur noch ein bisschen Schieben, ein paar Höhenmeter zur Roßalm durchkurbeln und dann ist man im Ziel. Stimmt im Prinzip. Leider war der Salzberg in meinem Kopf nach den 10 legendären Kehren beendet. Das es dann über 25% steil auf Asphalt noch ein ganzes Stück weitergeht, trifft mich hart. Die ersten körperlichen Beschwerden setzen ein.
Irgendwie ist die Sehne auf meinem rechten Fuß überreizt. Entweder vom Laufen oder einfach überlastet. Schmerzen beim Durchtreten und beim Anziehen, da wo die Schuhlasche auf das Fußgelenk trifft. Die 12h sind jetzt überschritten. Wenn ich so weiterfahre, würde alles klappen. Auf der einen Seite bin ich erleichtert, auf der anderen bekomme ich Angst wegen des Fußes. Der kurze stechende Schmerz bei jeder Pedalumdrehung verhindert das Einsetzen des Pedalierautomatismus nun immer wieder.
Wo die Füße sich den ganzen Tag von alleine um das Tretlager drehten, muss ich nun permanent bewusst die Entscheidung treffen „Fuß nach unten, Fuß nach oben…“ . Wie lange würde ich das psychisch leisten können. Mein Magen ist auch randvoll. Die Frage, ob ich überhaupt noch was essen können werde beantworte ich mit einem Biss in einen der letzten Riegel und ein weiteres Gel. Wenn der Magen so voll ist, wird da schon noch genug zum Verdauen drin sein. Muss reichen! Wassermelone und Isodrink (ich kann das Zeug nicht mehr sehen) werden es richten müssen.
Wenn es gefühlt nur bergauf geht. Den ganzen Tag
Ist das hier der verdammte Mount Everest? Was ist das eigentlich für eine Unverschämtheit den höchsten Punkt und einen der längsten Anstiege des Rennens, die Roßalm, nach über 150km zu positionieren. Das nimmt einfach kein Ende. Wieso geht es immer noch hoch? Wieso gibt es hier eigentlich keine Anstiege unter 15% Steigung? Kann denen nicht mal jemand Straßenbau erklären? Es donnert, Regen setzt ein. Um zu sagen „scheiß drauf, werd ich halt nass“ ist der Weg noch zu weit. Eine tolle Ausrede mal kurz anzuhalten. Das haben jetzt schon viele getan. Seit geraumer Zeit überhole ich einen nach dem anderen Teilnehmer, mein Pacing kann also nicht so schlecht sein. Habe ich da etwa noch Reserven. Nicht übertreiben jetzt. Regenjacke vom Rahmen frickeln (seit wann kann man Duct-tape nicht mehr einreißen??). Bis auf den Gipfel der Roßalm fahre ich nun durch den Regen. Auf der Abfahrt friere ich mir den Arsch ab. Neue Zweifel. Ist es kalt oder ist es Schwäche? Aber schwach fühle ich mich eigentlich nicht. Nur genervt davon, dass nun noch ein Anstieg von 500hm kommt.
Angst vor mir selbst
Die Beine sind immer noch Ok, ich beschließe etwas schneller zu fahren und ein bisschen Druck zu machen. Eigentlich hatte ich mir ganz heimlich in meinem Hinterkopf schon den ganzen Tag eine Attacke am letzten Anstieg in den Kopf gesetzt, falls da noch was über sein sollte. Ich kann ganz gut den Rhythmus erhöhen, doch dann bekomme ich Angst. Was, wenn Du Dich überschätzt und 20km vor dem Ziel strandest. Angst vor der eigenen Courage. Das Ziel jetzt nicht gefährden. Ich nehme wieder raus. Schade eigentlich. Das letzte Stück heißt es nochmal Schieben. Und dann mit Vollgas Richtung Ziel. Schöne Gruppe gefunden und los. Es tut mir leid Jungs, aber jetzt fahrt Ihr echt zu schnell. Ich weiß das war meine Idee mit dem Kreisel aber da bin ich raus. Keine Zeit sich über eigene Unzulänglichkeit zu ärgern. Das Ziel ist Nahe.
Zeit zu Feiern
Mein Herz und Kopf sind voll mit Freude und Vorfreude. Alles hat sich gelohnt. All das Training, die Entbehrungen. Wie weit bin ich denn jetzt bitte gekommen? Ich habe A-Strecken Finisher immer für eine Mischung aus Superhelden und Psychopathen gehalten. Bin ich jetzt auch ein Superheld oder ein Psychopath? Oder habe ich die Leistung immer überschätzt? Kopf aus! Quatsch, jetzt ist Zeit zum Feiern.
Zwei Kurven vor dem Ziel ziehe ich meine Regenjacke aus und stopfe sie hastig unter das Trikot. Ich will im Coffechainstrikot über die Ziellinie fahren. Mit erhobenen Armen. Aus dem Weg italienischer B-Stecken Fahrer, aus dem Weg Trophy Teufel, jetzt komme ich!
„Jaaaaa Mann!! Jaaaaaa!“ in Mitten dem Jubel der Zuschauer reiße ich die Arme in die Luft. Es wird auf Banden geschlagen, laute Musik plärrt, irgendwo verkündet der Streckensprecher meinen Namen. Ich höre meinen eignen Freudenschrei kaum. Was für ein Tag. Ich möchte weinen, doch irgendwie ist hier kein Platz sich mal hinzusetzen. Überall, sind Leute. Wo ist Nadine? Ich kann nichts mehr und alles zur gleichen Zeit.
Wer weiß, welchen Anfang diese Geschichte irgendwann einmal schreibt.
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Hallo, herzlichen Glückwunsch. Toll geschrieben, habe eigentlich beim Rennen die gleichen Emotionen wie du , klasse. Habe mich für 2019 angemeldet, die A Strecke natürlich. Ich hoffe das klappt, meine Kilometer Leistung liegt im Moment bei ca. 11500 km. Ich denke das wird gut klappen . Weiter so.