Die Gravel Weltmeisterschaft fand dieses Jahr erst zum zweiten Mal statt. Letztes Jahr noch auf einer flachen Strecke, sodass die Straßenfahrer sie für sich entscheiden konnten, sollte dieses Mal für jeden etwas dabei sein: Schotterpisten, Straßenabschnitte, Single-Trails mit Bachdurchquerungen usw. – das hört sich ja noch nicht so schlimm an, da aber die Schotterpisten sehr tief bzw. an einigen Stellen sehr lose waren, musste man die Konzentration immer auf 100 % halten. Am schlimmsten waren aber die sehr steilen Anstiege.
Das Rennen in Kurzform
Der Start erfolgte am Lago Bandie und führte flach 25km am Fluss entlang, bevor es durch Weinhänge, Wald und Wiesen den ersten Berg zu bezwingen galt. Nach einer rasanten Abfahrt erreichte man Pieve di Soligo, den Zielort, der aber zweimal durchfahren wird und somit erst bei der dritten Anfahrt das Ziel bedeutet. Zwei Loops mussten also noch bewältigt werden. Der erste Loop hielt schon einige steile Anstiege parat, die sehr steilen Abschnitte aber immer auf festem Untergrund.
Pieve wieder durchfahren, kam man erstmal auf eine flache Bolzerstrecke. Es folgte der erste kurze, aber mit über 20% sehr steile Anstieg zu einer Kapelle, gefolgt von Bachdurchquerungen und stetigem nicht allzu steilen Auf und Ab am Berghang. Das Ziel schien bereits zum Greifen nahe, doch es galt noch einen letzten Anstieg zu bezwingen – und der hatte es in sich! Immer steiler werdend, wechselte zusätzlich auch noch der Untergrund von Beton auf Schotter. Danach kam nur noch der Downhill, der allerdings auch seine Tücken hatte. Wäre man zu schnell hineingefahren, hätte man die Geschwindigkeit nicht mehr herunter bekommen und wäre unweigerlich gestürzt – MTB würdig.
Die Vorbereitung
Meine Vorbereitung lief nicht ganz so wie geplant. Der Sturz bei der Transalp lies mich das Training nicht im gewohnten Umfang bestreiten; und wenn ich trainiert hatte, erholte sich der Körper durch Schlafmangel viel langsamer. Aber man soll nicht nach Ausreden suchen. Flug und Mietwagen waren schon gebucht! Da ich aber keine Keditkarte habe, hätte es mit dem Mietauto nicht geklappt, also alles wieder storniert. Zum Glück hat der TÜV drei Augen zugedrückt und mir eine Plakette aufs Nummernschild geklebt – ganz ohne Bestechung.
In einem herrlichen Weingut untergekommen, lasse ich es mir vor dem Rennen gut gehen. Fahre immer nur Teile der Strecke in gemächlichem Tempo, um den Körper nicht all zu stark zu belasten. Auch die Steilpassagen und Bachdurchquerungen werden besichtigt.
Der Renntag rückt näher und ich kann mich nicht entscheiden, mit welchem Rad ich fahren soll. Das eine fast neu und gut in Schuss, das andere mit der besseren Übersetzung für die steilen Anstiege, aber noch mit kleinen Mängeln (Bremse Metal auf Metal, quitschendes Tretlager). Schließlich kaufe ich Bremsbeläge und sorge mit WD40 für Ruhe.
Das Rennen
Fahre zum See und checke nochmal das Rad. Hier ein bisschen WD40 und dort ein bisschen, soll sich ja alles einfach drehen und nicht die Hälfte der Energie verloren gehen. Dann geht es auch schon in den Startblock, um dort vorne zu stehen. Ganz vorne stehen die Frauen, gefolgt von den 50-54jährigen, den 55-59jährigen, und schlussendlich wir. Ich suche nach den vermeintlich Schwächeren, die ich wahrscheinlich locker im Griff hätte – aber vergeblich, alle sind bis auf den letzten Muskel und Sehnen durchtrainiert…
Um 10:42 Uhr geht es eine Minute nach den 50-54jährigen auf die Strecke. Das Tempo ist gleich so hoch, dass sich das Feld in die Länge zieht. Auf dem tiefen Schotter kommt es bereits zu den ersten Defekten und Stürzen. Heikel sind die Überholmanöver an den Langsameren aus den vor uns gestarteten Startblöcken. Am ersten Berg entspannt sich die Lage schließlich. Für mich aber folgen die ersten Probleme, denn mit meiner Übersetzung komme ich an die Grenze der machbaren Höchstgeschwindigkeit, zumal mein 10er Ritzel leider nicht einsetzbar ist – das war mir im Training nicht aufgefallen…
Leider habe ich im Gewusel der Fahrer das Rausfahren eines Italieners und eines Amerikaners nicht realisiert – richtig bewusst geworden ist mir das auch erst im Ziel. Auf der zweiten Schleife starten weitere Fahrer Attacken, die ich aber alle eliminieren kann und sogar selber eine am steilen Anstieg setze. Matthias Ball und ich können uns kurz absetzen, doch der Druck von hinten ist zu hoch.
Die dritte Schleife hat es dann in sich. Erst Höchsttempo in der Ebene, dann lange Bummeltempo (25km/h). 30km vorm Ziel geht es über in den ersten supersteilen Anstieg, und alle versuchen irgendwie in der Gruppe zu bleiben. Wieder fahren zwei raus – mein Körper ist am Limit, sodass ich nicht folgen kann. Im Kopf kommt schon der Gedanke auf, dass nicht mehr als Platz 5 oder 6 herausspringen kann. Mein auftretendes Nasenbluten beunruhigt mich hingegen nur wenig.
Sehe alle Fahrer aus der Gruppe noch in 300-400m Entfernung vor mir. Let‘s go! Komme wieder näher an drei Belgier und einen Franzosen heran, die ich alle an den blauen Startnummern erkenne. Ich kann aufschließen, gehe über meine Grenzen und ziehe vorbei. Keiner kann folgen. Weiß aber auch nicht wie lange das gut geht. Matthias ist nur 200m vor mir, aber das Loch kann ich nicht schließen. Denke, dass ich auf Platz 2 liege und kämpfe gegen meinen Körper, der einfach aufhören will mit Treten und umfallen möchte.
Zehn Kilometer vorm Ziel folgt der letzte Berg. Nur noch da hoch und dann ins Ziel. Die aufkommenden Krämpfe muß ich irgendwie ausschalten und einfach weiter treten – der Körper kann sich ja nach dem Rennen eine Auszeit gönnen. Am Schottsteilstück sehe ich plötzlich den Italiener, der am Anfang rausgefahren war. Er muß schieben und ich ziehe an ihm vorbei.
Im Downhill muss ich einen Kompromiss finden aus schnell, aber nicht zu schnell. Die Reifen sind gut, sodass ich gut runterkomme. Dann noch die alte römische Kopfsteinpassage. Der Weg verschwimmt vor meinen Augen, so heftig ist das Gerüttel und Geschüttel.
Noch drei km Treten, Treten und nochmal Treten. All in! Bloss nicht mehr umschauen und dadurch vielleicht den Platz auf den letzten Metern verlieren. Kurz vorm Ziel schaue ich mich dann aber doch noch mal um – es kommen aber nur Fahrer in Ak 50-59.
Im Ziel
Es ist Platz 3, erfahre ich im Ziel. Schade, wäre gern Weltmeister geworden – aber wer will das nicht.
Nach kurzer Zeit kommen aber dann doch die ersten Freudestränen über Platz 3