Wie kommt man auf die Idee, sich einer solchen (Tor-)T(o)ur zu stellen?
Rückblickend muss ich sagen „… ich weiß es auch nicht, aber es war kein Fehler…“ – bekannt war mir der härteste MTB-Marathon Europas, wie der Veranstalter sich selbst bewirbt, schon lange. Aus Ehrfurcht vor über 200 km mit gut 7.000 Höhenmetern und dem Wissen, dass solche Distanzen eigentlich nichts für mich sind, habe ich einen Start mit gutem Gewissen bis dato nie in Betracht gezogen.
Ende letzten Jahres kam dann aber alles irgendwie anders. Nennen wir es „gruppendynamische Prozesse in pink & blau“, die dazu geführt haben, dass ich mich von einigen wackeren Vereinsmitgliedern zu einer Teilnahme habe mitziehen lassen. Inspiriert durch das Team, dennoch mit ein paar rationalen Abwägungen gespickt, habe ich dann am Tage X die Anmeldung auf den digitalen Weg gebracht. Mit dem Klick auf das Bekenntnis „ja, ich will“, wurden Faszination und Vorfreude befeuert, gleichzeitig war mit diesen Gefühlen ab jetzt auch immer der Gedanke an Bord „bist du eigentlich bescheuert, wie soll das gehen…???“
Der Tag der Anreise
Eigentlich unwichtig, er sollte aber enorm wichtig werden, daher muss ich ihn erwähnen. Am Donnerstag sind Nicole und ich früh morgens, andere sagen berechtigt mitten in der Nacht, um 4 Uhr morgens los. Wir wollten ohne große Beeinträchtigungen im Berufsverkehr in den Süden kommen, aber wenn wir mal ehrlich sind, trieb uns wahrscheinlich nur die unbändige Vorfreude. Die Vorfreude auf das oben beschriebene „… bist du eigentlich bescheuert….“
Zurück zum Thema: wir also los, ohne irgendwelche Verzögerungen geschmeidig durch den Verkehr geflutscht und schon waren wir da. Wir bezogen die Ferienwohnung, Imke, T-Racer und Donato folgten. Schildi, Tim, Dini und Nini bezogen währenddessen ihr Hotel und am frühen Abend trafen wir uns zum Abendessen.
Und hier kommt nun der Grund, warum der Tag der Anreise für mich doch erwähnenswert wird. Wir betraten das Restaurant und zu meiner großen Überraschung saßen unsere Tochter Mira mit Freund Lukas am Tisch. Mira hatte sich überlegt, dass sie mit uns allen nach Österreich muss, weil ja in diesem Jahr ihre heißgeliebte BIKE-Transalp ausfällt und ein Jahr ohne Team-Event in den Alpen ist ja auch nix! Die Überraschung war mehr als geglückt und die Tatsache, dass die beiden den Streckensupport machen würden, sollte meine Rennstrategie maßgeblich beeinflussen und dazu beitragen, dass ich so einen fulminanten Renntag in den (überwiegend) Schotter fräsen konnte – dazu später mehr.
Der Tag vor DEM Tag – die Vorbereitungen
Ich gebe zu, dieser Tag war einer der merkwürdigsten und ja, frustrierendsten Tage, die ich mit dem Team je erlebt habe. Alle waren nett und freundlich zueinander, aber Anspannung, Nervosität und Vorbereitungsstress schufen eine befremdliche Atmosphäre in der Gruppe und das Wetter trug auch noch ein wenig dazu bei. Es regnete immer wieder und so verschob sich unsere geplante Ausfahrt, Bike-Check, Akkreditierung, Vorbereitung der Bikes, usw. immer wieder – was für ein Durcheinander. Und übrigens mein Mantra „… bist du eigentlich bescheuert, wie willst du das schaffen…“ wurde auch nicht leiser.
Erst als am Abend die Startnummer montiert war, die Trinkflaschen und Gels vorbereitet waren und klar war, wo wir unsere Verpflegungspunkte einrichten würden, wich die Anspannung und machte der Erkenntnis „… ja, du bist bescheuert, aber du hast alles erdenkliche getan…“
Heute geht es dem Teufel an den Kragen
Der Wecker klingelt um 3 Uhr – Kaffee, Reis, ein bisschen Obst – rein in die Klamotten und auf zum Start. Gemeinsam mit T-Racer stehe ich um 4:45 Uhr in der Box, recht weit am Ende, denn viele unserer Mitstreiter konnten es noch weniger erwarten und waren schon früher dort – wenn heute eines egal ist, dann ist es wohl die Startposition, denn weniger denn je geht es für mich um eine Platzierung. Es geht nur um das Ankommen, das nackte Überleben.
Ich merke allerdings schon jetzt, dass es trotz aller Anspannung und Nervosität auch eine zuversichtlich-lockere Seite in mir gibt. Der Matchplan sieht vor: locker reinstarten, nicht überziehen und dann die Meilensteine einfach abfahren:
- KM 0 – 1.000 Höhenmeter am Stück – einfach machen
- KM 40 – Verpflegungspunkt 1
- KM 65 – Verpflegungspunkt 2 mit Mira & Lukas
- KM 120 – Verpflegungspunkt 3 (wird noch wichtig) und dann flach um den See, bevor für mich der Anstieg des Todes kommt
- KM 170 – Verpflegungspunkt 4 mit Mira & Lukas
- Ab jetzt nur noch ein räudiger Berg und ab ins Ziel
So der Plan und um 4:59:50 Uhr startet lautstark der Countdown. Bereits jetzt ist eine Vielzahl begeisterter Zuschauer an der Strecke und schafft diese einzigartige Atmosphäre, die mich nach dem Startschuss den ganzen Tag begleiten sollte. „… mega, ach deswegen bin ich bescheuert…“ – sieh an, auch Mantras sind flexibel und können sich ändern.
Startschuss, peng, auf geht es. Das Feld rollt unaufgeregt und ohne das obligatorische Gedränge los in Richtung des ersten Anstiegs. Ich komme sehr gut weg, verliere T-Racer leider und schließe irgendwann, irgendwo im ersten Berg auf Schildi auf. Wir quatschen kurz, Olli gesellt sich zu uns, und mit lockerem Kurbelhub schraube ich mich Höhenmeter um Höhenmeter nach oben. Oben angekommen stelle ich emotionslos fest, dass „der Anstieg, direkt aus der kalten Hose“ für meine Verhältnis exzellent zu bewältigen war. Bevor es zum ersten Mal bergab geht, geht die Sonne auf und es zeigt sich ein tolles Panorama – „… bescheuert, vielleicht doch gar nicht so sehr…?“
Und weiter geht die wilde Fahrt
Dann geschieht etwas, womit ich nicht wirklich gerechnet habe, was mich aber sehr motiviert und auf den nächsten Kilometern sehr unterstützen wird: ich schließe auf Tim auf. Gemeinsam stellen wir uns dem Auf und Ab des Streckenprofils und erreichen meinen Meilenstein-Nr. 2.
Als Tim mich hier, bei dem Versuch seine Trinkflasche per Luftfracht in Richtung unserer Beach-Flag zu befördern, mit diesem Geschoss am Kopf trifft (Richtung um ca. 45° und 5 Meter verfehlt!!!), frage ich mich kurz, ob das ein infantiler Hinweise seinerseits ist, doch lieber alleine zu fahren? Nein, das kann nicht sein – wahrscheinlich ist es einfach den verkümmerten Fähigkeiten eines Menschen geschuldet, der schon als Kind lieber Fahrrad gefahren ist, als auch mal Ballsportarten auszuüben.
Ich möchte an der Stelle betonen, dass dieses versuchte Attentat nichts damit zu tun hatte, dass wir uns im weiteren Verlauf der Rundfahrt verloren haben. Meinen Meilenstein-Nr. 3 – „Mira & Lukas“ erreichen wir zunächst noch zusammen, in den folgenden Anstiegen und matschigen Schiebepassagen (bergauf wie bergab) komme ich besser durch als Tim und so erreiche ich Meilenstein-Nr. 4 dann leider alleine. Zu meiner großen Überraschung muss ich mich hier nicht nach meinen Gels und Trinkflaschen bücken, denn Dini & Nini sind da!
An unsere Supporter: es ist unbeschreiblich, welchen Schub es gibt, euch am Streckenrand zu haben. DANKE dafür!!!
Mit diesem Gefühl und immer noch sehr guten Beinen ging ich motiviert ab jetzt als Lonesome-Rider auf die 20 flachen Kilometer am See entlang. „… wie bescheuert, und immer noch entspannt und gut gelaunt….“
Auf zur Roßalm, wenn nur dieser Berg nicht wäre
Mein Lendenwirbelsäule macht sich nun zunehmend – auch in der flachen Passage – bemerkbar. Seit einigen Monaten arbeite ich durch gezieltes Krafttraining, Mobi und Dehnen an dieser Problematik. Es kommen in mir Bedenken auf, wie sich das heute weiterentwickeln wird und ob es mich gar wieder zur Aufgabe zwingen würde? Nein,… der Gedanke musste direkt wieder raus aus dem Kopf, Fokus auf die nächsten 1.000 Höhenmeter am Stück und auf Meilenstein-Nr. 5 – bei KM 170 warten Mira & Lukas – wie bereits erwähnt: unbezahlbar!!!
Im ersten kurzen Anstieg um den See ist es dann soweit: Krämpfe in Rückenmuskulatur und Oberschenkel zwingen mich zur Dehnpause. Auf dem Weg zur Roßalm folgen noch 4 weitere dieser Pausen (insgesamt sollten es 8 werden) und einige Höhenmeter muss ich sogar schieben. Ich gebe zu, es kommen Zweifel auf, aber es gelingt mir den Fokus auf die positiven Aspekte bisher und die vor mir liegenden Meilensteine zu richten.
Spätestens jetzt ist klar, dass bei allen körperlichen Strapazen heute die mentale Stärke ausschlaggebend sein wird. Und die scheint heute bei mir zu passen. Denn solange ich in den Abfahrten „Halo“ von Rea Garvey vor mich hinpfeifen kann, läuft es. „… bescheuert, ist aber so….“
Mit eben jenem Lied im Kopf hämmere ich gen Meilenstein-Nr. 5 „Mira & Lukas“ – Und ab jetzt ist es gemäß Mindset „nur noch ein f###ing Berg und Geplänkel bis ins Ziel“, also auf geht’s.
Vorbei an unfassbar vielen Zuschauern, die mich anfeuern und beim Namen rufen, geht es auf die letzten ca. 35 km. Abgesehen von den oben erwähnten Dehnpausen rausche ich gen Ziel. Irgendwann, auf einer langen Abfahrt auf asphaltierter Straße rollt dann plötzlich ein Biker auf einem Enduro-Bike an mir vorbei. Möglichst stromlinienförmig kauere ich bei hoher Geschwindigkeit hinter meinem vollintegrierten Cockpit, als er mir im Vorbeirollen zuruft: „… jetzt kann ich endlich mal meinen Gewichtsvorteil ausspielen…“ Ja, denke ich, den hast du – ein B-Streckler mit Humor, wie schön. „… bescheuert, dass man nach 12 Stunden Alpengemetzel noch lachen kann…“
Die wilde Fahrt geht zu Ende
Man kann sich bei jeder Wettfahrt vorzüglich darüber streiten, ob die eine Schleife, die der Streckenchef den Protagonisten auf zwei Rädern unbedingt noch mitgeben muss, auch wirklich sein muss. Ich hatte mich auf dieses Szenario gedanklich vorbereitet, denn auch heute gab es natürlich diese Ehrenrunden. Unnötig, wenn man ins Ziel will? Ja, aber sie gehören dazu. Als die letzten Schleifen dann gedreht waren, ging es rein nach Bad Goisern und vorbei an noch mehr Zuschauern als beim frühmorgendlichen Start überquerte ich nach 12:51 Stunden die Zielline und fuhr meiner Frau direkt in die Arme. Was will man mehr…?
FAZIT
NEIN, ich bin nicht bescheuert! – Was sich bescheuert anfühlte, stellt sich im Nachhinein als der Respekt vor einer großen, nicht in Gänze fassbaren Sache dar.
Am Ende bin ich…
- … froh und glücklich, die A-Strecke gefahren zu sein.
- … froh und glücklich, Teil eines fantastischen Teams zu sein, mit dem man gemeinsam solche Aufgaben rocken kann
- … froh und glücklich, diese Veranstaltung mit den fantastischen Zuschauern in der Region erlebt zu haben
- … froh und glücklich, nie wieder auf die A-Strecke zu gehen
Das war meine persönliche Höchstleistung und ich werde diesen Tag, dieses Wochenende nie vergessen. Allerdings ist genauso gewiss: wer A-(Strecke) sagt, der muss auch B-(Strecke) sagen.
In diesem Sinne, DANKE an alle, die diese Wochenende zu diesem unvergesslichen Event gemacht haben, es war noch nicht das Ende…