Urlaub mit der Familie an der Nordsee bedeutet für mich nicht nur Meer, Wind und Weite, sondern auch: Anreise mit dem Rad. Bis zum Ferienhof waren 260 Kilometer geplant – ein langer Tag im Sattel, der am Ende alles bereithielt: Regen, Gegenwind, Panne, Freundschaft und am Ende pure Erschöpfung.

Der Morgen beginnt, ich rolle motiviert von zu Hause los. Es ist meine vierte Anreise. Zweimal habe ich den Renner genommen und einmal das MTB. Beides nicht optimal. Die Radwege in der norddeutschen Tiefebene sind langweilig und rau. Deshalb fiel meine Wahl dieses Jahr auf das Gravelrad. Mit dem Gravel versuche ich den Komfort des MTB und die Geschwindigkeit des Renners in Einklang zu bringen.

Noch ist es trocken.

Ich rolle über Löhne, wo Uroma wohnt und ich nach 50 Kilometern eine kurze Pause zum Auffüllen der Bestände mache, weiter über den Wiehen, der einzigen nennenswerten Erhebung auf der ganzen Strecke, weiter Richtung Norden. Über Diepholz und Vechta reise ich an langen langweiligen Bundesstraßen auf Radwegen gedankenverloren dahin. In Diepholz mache ich bei Kilometer 100 einen kurzen Kuchenstop beim Bäcker und nutze die Gelegenheit, die Familie anzurufen und deren Standort abzufragen. Meine Mädels fahren mit dem Pkw und befinden sich noch hinter mir – sehr gut. Ich teile meinen Livestandort über WhatsApp, damit sie mich einholen und mir vorbereitete Flaschen reichen können. Bei Kilometer 130 bekomme ich den dringend notwendigen Getränkenachschub.

Zwischenzeitlich hat es angefangen zu regnen. Kräftig aber kurz. Ich ziehe die Regenjacke zu spät an und bin bereits durchnässt. Ich sollte bis zum Ziel nicht mehr trocken werden.

Mr. Wade ruft an.

Er befindet sich zufällig auch mit seiner Familie in Ostfriesland im Urlaub. Wir reisen heute an, sie reisen heute ab, aber erst abends. Er will mir entgegenkommen, so dass wir ein Stück gemeinsam fahren können. Ich schicke ihm den Track über Komoot, er dreht ihn einfach um und kommt mir direkt auf meiner Route entgegen. Ich freue mich. Bietet die Landschaft wenig Abwechslung, könnte Mr. Wade mir durch seine Anwesenheit neue Motivation bringen, denn mittlerweile macht sich erste Erschöpfung bemerkbar.

Erneuter Anruf von Mr. Wade.

Er habe einen Platten, der mit Bordmitteln nicht zu fixen sei. Seine Frau sei unterwegs, um ihn abzuholen. Ich fahre weiter. Eine halbe Stunde später meldet Mr. Wade, er sei wieder startklar und unterwegs. Wir treffen uns im strömenden Regen bei KM 160 auf einem der zahlreichen landwirtschaftlichen Sträßchen irgendwo im Nirgendwo zwischen den dort befindlichen Gehöften. Die Freude beiderseits ist groß.

Fünf Minuten später ist der Regen vorbei und der Untergrund komplett trocken, als ob nichts gewesen wäre. Die Sonne kommt raus, die Laune steigt. Wir rollen quasselnd dahin, geben uns gegenseitig Windschatten und spulen Kilometer für Kilometer ab. Bei Kilometer 190 sind wir in Edewecht, wo Mr. Wade eine Kaffeerösterei mit Kuchenangebot kennt. Wir kehren ein und verzehren köstlichen Espresso mit leckerem Kuchen. Als wir weiterfahren, erwischt uns der nächste kräftige Schauer.

Beim Blick auf Mr. Wades Hinterrad schwant mir nichts Gutes. Ich bin mir aber nicht sicher, ob der Reifen nicht doch schon die ganze Zeit so gebounced hat. Nein, hat er nicht, bei Km 210 ereilt uns ein Plattfuß direkt vor einem Friedhof. Die Ursache können wir nicht erkennen. Egal. In weiser Voraussicht hat Mr. Wade einen Ersatzschlauch bei seiner ersten Panne des heutigen Tages gekauft – und genau dieser kommt jetzt zum Einsatz. Genau wie meine kleine akkubetriebene Minipumpe. Sehr zur Verwunderung eines Einheimischen, der sich sehr zutraulich zeigt und uns im Ostfriesendialekt bestimmt tolle Geschichten erzählt hat – wir haben nur leider nichts verstanden. Artig verabschieden wir uns und rollen weiter in Richtung Wiesmoor und von dort nach Wiesede, wo Mr. Wade sich verabschiedet. Ich rolle noch 30 Kilometer alleine bis zu unserem Ferienhof in Utarp und komme dort erschöpft nach ca. 10 Stunden Fahrzeit an.

In den folgenden Tagen absolviere ich einige Grundlageneinheiten im Deichvorland. Mal Sonne, mal Regen, aber immer der Wind als ständiger Begleiter. Ich sammle Kilometer und genieße den Urlaub.

Eine Woche später geht es zurück.

Dieses Mal nur 210 Kilometer bis nach Löhne, dafür bei strahlendem Sonnenschein. Leichter Seitenwind, warme Temperaturen, gleichmäßiger Rhythmus. Ich wähle eine andere Route als auf dem Hinweg. Etwas weniger Bundesstraßenradweg, mehr verschlungene kleine Sträßchen. Abwechslungsreicher und schöner zu fahren.

Es war ein schöner Urlaub. Familienzeit und Radabenteuer in einem. Die Anreise mit 260 Kilometern im Regen bleibt ein harter, aber unvergesslicher Tag. Die Rückfahrt im Sonnenschein war dann der perfekte Abschluss. Zwei lange Fahrten, dazwischen ruhige Einheiten – besser kann man einen Nordseeurlaub nicht verbringen.

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