Endlich! Meine Güte, das wurde aber auch Zeit. Raceday.
Ich befinde mich im letzten Anstieg der Salzkammergut-Trophy. Nochmal 600 Höhenmeter am Stück und dann tendenziell bergab.
Rainer ist bei mir. Wir kennen uns von der Alpentrophy vor 4 Wochen und vor einem Jahr. Zufällig treffen wir uns bei Kilometer 40 etwa und bleiben fortan immer relativ nah beisammen. Rainer erzählt mir von seinem dritten Versuch, die A-Distanz zu finishen. Zweimal sei er bereits gescheitert. Einmal bei Kilometer 140 am Zeitlimit vor dem Salzberg und ein weiteres Mal ca. 150 Höhenmeter vor dem letzten Gipfel. Er sei Letzter gewesen, brauchte nur noch oben ankommen und ins Ziel rollen. Keine Limits mehr. Die Besenmotorräder seien bei ihm gewesen, haben ihn begleitet, motiviert und angefeuert. Der Letzte bei der Salzkammergut-Trophy! Als Letzter wird man mehr gefeiert als die Sieger. Man erhält einen großen Pokal in Form eines roten Teufels. Ganz Bad Goisern erwartet einen mit frenetischem Jubel im Ziel. Musik, Pyrotechnik, Feuersäulen, der Teufel huldigt einem persönlich. 150 Höhenmeter vor dem Gipfel sei er ausgestiegen, nichts ging mehr. Aber 2025 stünden die Chancen gut. Das Wetter sei perfekt zum Racen. Nicht zu warm, trocken.
Plötzlich kommt Olli an mir vorbei. Wir kennen uns von diversen Bike Transalp Teilnahmen. Er sieht erschöpft aus, tritt aber kraftvoll an mir vorbei. Ich wundere mich, ist er doch eigentlich deutlich stärker als ich. Zerknirscht erzählt er, er fahre den Berg bereits ein zweites Mal hoch, sei falsch abgebogen. Schade um die Zielzeit, aber immerhin wird er es schaffen.
Ich stehe körperlich völlig fertig um 21:00 Uhr mitten in Bad Goisern im Zielbereich mit meinem Team von Coffee & Chainrings. Wir erwarten mit Tausenden von anderen Zuschauern den letzten Finisher. Ich kann kaum noch stehen. Mein Kreislauf ist auf Anschlag. Ich konzentriere mich. Aber dann durchströmt mich Adrenalin pur. Ich bin hellwach. Fange an zu hüpfen, reiße die Arme in die Höhe…
Der Moderator heizt die Menge immer weiter auf. Ohrenbetäubender Lärm, laute Beats, Geschrei, Party pur. Nach 16 Stunden soll er kommen, der Letzte. Da kommt er und die Menge rastet völlig aus. Er wird gefeiert wie der Sieger. Dann die Mitteilung, es kommen noch weitere Fahrer. Im Abstand von mehreren Minuten kommt ein glücklicher Finisher nach dem anderen. Offiziell ist die Trophy eigentlich beendet, aber es geht immer weiter.
Dann kommt Matthias. 21:30 Uhr. Der Teufel erwartet ihn und drückt ihm eine riesige Bengalo in die Hand. Beide stehen Arm in Arm nebeneinander, halten die rotglühende, funkensprühende Bengalo in die dunkle Nacht. Die Menge tobt. Ein Moment für die Ewigkeit. Wir klatschen ab, schütteln uns gegenseitig so fest, dass der Nacken zu schmerzen beginnt.
Und dann kommt er: der wirklich allerletzte offizielle Finisher der A-Strecke bei der Salzkammerguttrophy 2025. Um 21:55 Uhr nach 16:55 h Fahrzeit wird er noch gewertet und gefeiert wie ein Olympiasieger. Der Teufel persönlich überreicht ihm den Pokal, eine Miniatur seiner selbst. Stolz bahnt er sich seinen Weg durch die Zuschauer. Alle wollen ihm auf die Schulter klopfen, seine Leistung würdigen.
Anschließend beginnt die Siegerehrung im großen Festzelt. Tausende Menschen sind noch dabei. Die Stimmung steigt immer weiter an. Der Höhepunkt ist noch nicht erreicht.
Ich falle fast um. Mein Kreislauf ist kurz vor dem Zusammenbruch. Emotional bin ich sowieso schon am Ende, seit ich im Ziel von meinem Team empfangen worden bin. Ich muss kurz in die Ferienwohnung, trinken und essen. 15 Minuten später stehe ich wieder im Zelt. Eigentlich sollten wir uns ausruhen, dem Körper die nötige Ruhe gönnen. Aber nein, das hier dürfen wir uns nicht entgehen lassen. Ich habe so etwas noch nie erlebt. Einmalig, wie die gesamte Region des Salzkammergutes die Rennfahrer feiert.
Um 23:00 Uhr stehen Imke und Ralf auf dem Podest, erhalten ihre Pokale und werden für ihre Leistungen geehrt. Damit hat niemand von uns gerechnet. Wir haben ehrlich gesagt nicht damit gerechnet, dass wir alle überhaupt ins Ziel kommen…
Von vorne:
Mit Marc stehe ich um 04:45 Uhr mit 500 weiteren A-Strecken Fahrern im Startblock. Ralf und Imke dürfen ganz vorne starten, irgendwo dazwischen Schildi und Tim, hinten Marc und ich.
Nach dem Start zieht Marc sofort davon. Ich pace exakt so wie geplant: 500 Höhenmeter die Stunde inklusive der Abfahrten. 1000 Höhenmeter, 2000 Höhenmeter, 3000 Höhenmeter, 4000 Höhenmeter.
Acht Stunden sind um. Ich fühle mich gut. Erwähnenswert sind die teilweise recht technischen Trails, womit ich nicht gerechnet habe. Sehr geil, aber auch anstrengend.
Die Ewige Wand. Ich rolle sie entspannt im Blitzlicht der zahlreichen Fotografen herunter. Später erfahre ich, dass es bergauf ging. Wir diskutieren, geht es in der ewigen Wand nun rauf oder runter? Die Theorie des „Ewige Wand Paradoxons“ entsteht.
Ein Trail ist unfahrbar. Selbst schieben ist schwer und nicht ungefährlich. Die Bergwacht steht mit zahlreichen Rettern an dieser Stelle bereit. Einer der Bergretter antwortet auf meine Frage, er habe bislang 5 Personen fahrend gesehen.
Bei Kilometer 65 nehme ich Flüssigkeit und Nahrung bei Mira und Lukas auf. Bei Kilometer 120 stehen Nini und Dini und versorgen mich. Danke dafür.
Zwischen 4000 und 5000 Höhenmeter zieht sich die Strecke wie Kaugummi. Es geht gefühlt nicht mehr weiter. Wir fahren flach halb um den Hallstätter See herum bis zum Scharfrichter, dem 1000 Höhenmeter Anstieg zur Rossalm ab Kilometer 140. Lang, steil, zäh. Erste Schwäche macht sich bemerkbar. Ich orgle im leichtesten Gang, würge die Kurbel Tritt für Tritt herum. Kraft ist Mangelware. Der Körper leidet.
Endlich, die 5000 Höhenmeter-Marke fällt etwa auf der Hälfte des Anstieges.
Der linke Fuß brennt. Ich will absteigen und ein paar Meter gehen. Stürze dabei fast und stelle fest, dass Gehen unmöglich ist, der Fuß will das nicht. Eine Bank steht in Sichtweite. Ich humpele hin, ziehe die Schuhe aus und mache nach über 10 Stunden Fahrzeit eine kleine Pause, die erste überhaupt. Fünf Minuten später fahre ich weiter, bis ich den Kulminationspunkt der Salzkammergut-Trophy auf 1507 Meter Seehöhe erreiche. Höher geht es nicht mehr herauf.
Noch ein Anstieg liegt vor mir, ich werde es schaffen. Nur nicht stürzen oder Risiken eingehen.
Nach 14:46 h erreiche ich das Ziel.
Fazit
Ich bin froh, dass es vorbei ist, dass ich es geschafft habe, gemeinsam mit meinen Teammitgliedern. Wie ein Dämon haben sich die Zahlen 209 und 7000 die letzten Monate in meinen Kopf eingetrieben. Jetzt ist Zeit für Ruhe. Verarbeiten, vergessen, erinnern.
Bin ich zufrieden?
Ja. Ich bin gestartet mit dem Ziel zu finishen. Das habe ich geschafft. 100 % Zielerfüllung.
Wie bewerte ich das Ganze für mich?
Bislang waren der Grand Raid und der HERO meine persönliche Benchmark. Ich hatte aber immer das Gefühl, mein Limit sei noch nicht erreicht. Dieses Gefühl habe ich jetzt nicht mehr. Die Salzkammerguttrophy ist mein persönlicher Kulminationspunkt. Die Spitze meiner Leistungsfähigkeit. Zumindest dessen, was ich mir „antun“ möchte. Ich glaube nicht, dass ich meine Grenzen noch weiter ausloten möchte. Das reicht. Das ist gut so.
War es so hart wie befürchtet?
Nein. Es war körperlich leichter als gedacht. Das gesamte Streckenprofil ist bis auf wenige Stiche für mich als schwerer Fahrer gut geeignet. Im Vergleich zum HERO sind die Anstiege deutlich flacher. Die Gesamtdistanz ist dafür deutlich länger. Mein TSS war beim HERO deutlich höher, als hier. Aufgrund der steileren Anstiege habe ich mich dort mehr quälen müssen. Aber die psychische Herausforderung ist ungleich größer und mit nichts vergleichbar, was ich in der Vergangenheit gemacht habe. Und genau das ist der Grund, wo ich meine Grenze sehe. Mehr ist für mich nicht vorstellbar. Klar, auch hier könnte ich mich entwickeln, ansetzen, um mental stärker zu werden. Aber wie dickköpfig muss ich noch werden?!
Wie bewerte ich meine Vorbereitung?
Ich habe mich so gut vorbereitet, wie es meiner Meinung nach innerhalb meiner persönlichen Lebensumstände möglich ist. Besser hätte ich es nicht machen können. Ich war nicht krank in den letzten 8 Monaten. Ich bin diverse Vorbereitungsrennen gefahren und habe alle Trainingseinheiten durchgezogen.
Oft treffe ich die Aussage, ich würde alles zweimal machen.
Einmal um zu lernen, und ein zweites Mal, um es zu optimieren. Das sehe ich in Bezug auf die Salzkammergut-Trophy anders. Hier spielen die äußeren Bedingungen eine nicht zu unterschätzende, mitunter entscheidende Rolle. Diese waren 2025 perfekt. Meine Vorbereitung kann ich nicht besser gestalten. Und mein Mindset würde ich nicht nochmal so lange fokussieren können. Auch möchte ich die Familie nicht nochmal derart belasten.
Ich habe 2025 meine beste Salzkammergut-Trophy aller Zeiten absolviert.
Danke an alle Unterstützer, Begleiter, Daumendrücker. Danke an meine Familie für den Rückhalt und die Abstriche, die aufgrund meines Trainings häufig gemacht werden müssen.
Aber! Heute ist nicht aller Tage – ich komm wieder, keine Frage. Die B-Strecke ruft