Nicht nur wir von Coffee&Chainrings sind bei der Salzkammerguttrophy auf der A-Strecke am Start gewesen. Auch 500 andere haben sich der Mammutaufgabe gestellt. Einer davon ist Matthias. Er ist nicht zum ersten mal dort und er ist nicht optimal vorbereitet – wie er das Ziel trotz der gesteigerten Schwierigkeit erreicht hat, erzählt er uns in seinem kurzweiligen Gastbeitrag.

Es ist 4:45 Uhr und noch dunkel – der Startblock füllt sich.

Ich stelle mich bewusst im hinteren Drittel an, da ich mich aus dem Startgedrängel raushalten möchte. Man spürt die Anspannung und Nervosität aller Teilnehmer. Jeder checkt nochmal alles: den Luftdruck, die Gels in den Taschen, das Streckenprofil und gedanklich wird die Strategie durchgegangen. Allen ist bewusst, das wird ein sehr langer Ritt. Ich selbst bin erstaunlich gelassen. Meine Strategie ist ganz einfach: Irgendwie jedes Zeitlimit schaffen und dann voller Glücksgefühle im Ziel ankommen. Das hört sich erstmal ganz einfach an – ist es leider aber nicht und hinzukommt, dass meine Vorbereitung nicht optimal war: zu wenige Trainingsumfänge. Ich hoffe, ich profitiere von meiner mentalen Stärke, vom Durchhaltevermögen und meiner Willenskraft – so rede ich mir das in diesem Augenblick ein und meine Frau ist überzeugt, dass ich es schaffe. So kann doch eigentlich nichts mehr schief gehen. Ich muss das nur richtig einsetzen. 

Der Countdown läuft – es gibt kein zurück mehr.

Um 4:50 Uhr wird die Musik richtig laut aufgedreht und es schallt AC/DC durch ganz Bad Goisern. Mit Sicherheit schläft jetzt kein Einwohner mehr. Die Musik bewirkt bei mir Gänsehaut am ganzen Körper, und Motivation, dass es endlich gleich los geht. Dann der Countdown 10, 9, 8 … 3, 2, 1 – dann der Startschuss und die Meute gibt Gas. Hinten im Feld wünscht sich jeder gegenseitig viel Glück, egal ob man sich kennt oder nicht und dann geht es auch bei uns los. Es stehen schon viele Zuschauer an der Strecke und applaudieren – können die alle nicht mehr schlafen?! Nach dem Start geht es relativ schnell den ersten langen Berg mit 1.000 Höhenmetern nach oben. Ich bin so fokussiert, dass ich nicht mal merke, dass es langsam immer heller wird. Um 5:25 Uhr kommen wir durch die erste Ortschaft und da stehen sie – die ersten Schlachtenbummler – unsere Fans. Alle sind verkleidet als Obstsorte – auf die Idee muss man erstmal kommen, aber es motiviert mich und alle sind richtig gut drauf. Ich höre laute Musik und jeder Teilnehmer wird den Berg nach oben gebrüllt. Was für ein Lärm. Unglaublich was hier abgeht und wir sind noch keine Stunde unterwegs. Weiter oben wird aus dem Weg ein Trail. Ein Biker steigt ab, was für alle folgenden Biker bedeutet auch abzusteigen. Für mich beginnt hier die erste Schiebepassage. Endlich oben angekommen, einmal durchatmen und rein in die erste schnelle Abfahrt. Wo es rauf geht, geht es auch wieder runter. Nach ca. 3 Stunden Rennzeit ruft mir in einer Spitzkehre der Streckenposten zu, dass ich nur 75 Minuten hinter der Spitze bin. Was soll ich nun mit dieser Info anfangen? Ich lächele vor mich hin und denke, gewinnen werde ich das Rennen wohl nicht mehr. Der nächste Trail heisst Ochsentod. Im Vorfeld macht man sich keine Gedanken über die Namen, aber im matschigen und sehr herausfordernden Trail kann ich mir gut vorstellen, woher der Name kommt. Die meisten schieben den Trail hinunter, so auch ich, denn ich möchte möglichst kein Risiko eingehen. Egal, jede Passage die geschafft ist, kann abgehakt werden. 

„Zeitlimit? Challenge accepted.“

Um 8:30 Uhr muss ich das erste Zeitlimit bei KM 42 erreichen. Mir ist klar, viel Luft ist hier nicht. Ich bin durch und habe noch 15 Minuten Puffer, also bin ich voll im Zeitplan. Es sind noch einige Fahrer hinter mir und es ist klar, es wird schon für die ersten das Rennen gleich beendet sein. Ich lasse mich nicht aus dem Konzept bringen – mein Motto ist „Erfolg beginnt im Kopf“, auch wenn es schmerzt. Es folgt ein ständiges Auf und Ab, unter anderem auch Teile des ersten Anstiegs. Und da sind sie schon wieder, die verkleideten Obstsorten und Stunden später haben sie immer noch die gleiche gute Laune wie heute Morgen. OK, es stehen auch schon ein paar Bier- und andere leere Flaschen am Rand. Unermüdlich wird jeder Fahrer weiter motiviert, den Anstieg hochzukurbeln. Auf einmal kommen von hinten weitere Fahrer und die sehen total frisch aus und haben alle ganz saubere Bikes. Was ist da auf einmal los, bis ich feststelle, blaue Startnummern, bedeutet es sind Fahrer der E-Strecke. Bergauf fühlt sich das nicht mehr ganz fair an, wenn man selbst schon mehr als 6 Stunden in den Beinen hat. Aber mehrere Fahrer, mehr Orientierung, mehr Hinterräder, an denen man sich festbeißen kann. Das nächste Zeitlimit wartet bei KM 86 um 12:15 Uhr. Oh, auch das wird eng, also versuche ich weiter, keine Zeit zu verlieren, nie stehen bleiben und wo es geht, Druck machen. Sehr zu meiner Freude passiere ich hier das Limit um 12:05 Uhr. Der Puffer wird kleiner, aber ich bin weiterhin im Rennen und das zählt erstmal. 

„Ziel vor Augen. Uhr im Nacken.“

Die nächsten Anstiege ziehen sich dann teilweise wie Kaugummi, aber jeder geschaffte Anstieg bedeutet einer weniger. Inzwischen sehe ich nur noch wenige A-Fahrer. Fast alle sind vor mir, vereinzelte wahrscheinlich und hoffentlich noch hinter mir. Dann kommt das herausforderndste Teilstück, eine Schiebe- und Tragepassage bergab über ca. 1,5 Kilometer und 200-300 Tiefenmeter. Ich frage den Streckenposten, ob der Streckenplaner mal einen schlechten Tag hatte, als er dieses Stück ausgewählt hat – vor allem wenn man Zeitdruck hat, sind solche Passagen absolut unnötig. Aber das ganze Jammern hilft nichts, irgendwann ist man unten und das Biken kann weiter gehen. Die Uhr für das nächste Zeitlimit tickt erbarmungslos. Ich muss um 15:00 Uhr, also nach 10 Stunden bei KM 121 sein. Meine Hochrechnungen zu diesem Zeitpunkt schwanken zwischen „das klappt noch“ und „oh Mist du verpasst es um wenige Minuten“. Mein Garmin blinkt erneut. Meine Frau hat mir mittlerweile so ca. die siebzigste Nachricht geschrieben – ja, richtig gelesen. Sie motiviert mich aus der Ferne mit kurzen Nachrichten wie „Go Go Go“ oder „Schmerzen sind schön“. Ich denke darüber nach, ob sie das wirklich ernst meinen kann und schon wieder bin ich ein Stück weiter gefahren als ein langgezogenes „Zieh“ erscheint. Sie meint es ernst mit ihrem Glauben an mich. Also haue ich in die Pedale – erstaunlich was der Körper auf einmal doch noch rausholen kann. Die letzten 7 Kilometer vor dem nächsten Zeitlimit sind fast flach und ich habe noch knapp 15 Minuten Zeit. „Kette rechts“ und alle Passanten auf dem Weg frühzeitig warnen, dass es bei mir nun schnell gehen muss. Vor dem nächsten Zeitlimit kommt noch eine letzte Verpflegung. Ich muss ganz kurz anhalten, um die Flaschen zu füllen, noch schnell zwei Becher Cola in mich hineinschütten und weiter Vollgas geben – den Radweg entlang. Um 14:59 Uhr passiere ich tatsächlich das Zeitlimit. Eine Minute Luft, mega. Geschafft. Ich frage mich nun, ist das jetzt gut oder schlecht ? Hätte ich es vergeigt, dann wäre ich fünf Minuten später im Hotel gewesen und vor meinem geistigen Auge erscheint eine Dusche. 

„Der Glaube meiner Frau an mich macht mich unaufhaltbar.“

Mein Garmin blinkt und ich lese „Ich bin so stolz“ und „Nächste Etappe geschafft“ und „Loooos“. Sie hat mich eindeutig im Visier und wer will schon duschen, wenn man sich noch weitere sechs Stunden quälen kann. Ich erinnere mich – genau deswegen bin ich hier. Um mich zu quälen und am Ende den Teufel zu besiegen. Also trete ich weiter in die Pedalen, um an einer flachen Passage um den Hallstätter See anzukommen. Mir wird bewusst, es ist kein A-Fahrer mehr hinter mir, da ich das Zeitlimit nur so knapp geschafft habe. Nun bin ich mit aller Voraussicht nach Letzter auf der A-Strecke. „Der Letzte“. Das ist nicht sehr motivierend, aber ich bin noch im Rennen und habe die Chance zu finishen. Viele andere sind schon raus. Ich denke mir „immer das Positive in den Vordergrund stellen“ und „mit voller Motivation weiterfahren“. Meine Vermutung bestätigt sich bei KM 131, als der Schlussfahrer hinter mir auftaucht und mich von dort an konsequent begleitet. Er ist selbstverständlich mit einem E-Bike unterwegs. Ich denke des Öfteren, er könnte mich doch auch mal ein paar Meter den Berg hochschieben oder wie schön es wäre, wenn ich bei mir den Motor zünden könnte. Aber dies würde meine Fairness und auch meinen Stolz, es alleine geschafft zu haben, verletzen. Dann wartet der letzte ganz lange Berg mit weiteren 1.000 Höhenmetern auf mich. Nach unzähligen Höhenmetern vermisse ich den Schlussfahrer und denke mir, was ist da los, muss ich mir Sorgen machen? Es stellt sich heraus, dass er Krämpfe hat und ständig anhalten muss. Er sehnt die nächste Verpflegung noch mehr herbei als ich. Was für eine Ironie. 

„Besiege ich den Teufel oder der Teufel mich?“

Ich habe leider deutlich länger für diesen Anstieg benötigt als erwartet, und die Uhr tickt immer weiter – tick, tick, tick. Mein Garmin blinkt erneut auf und die Nachricht „Der Teufel wartet“ erscheint. Meine Frau hat definitiv einen Clown gefrühstückt. Noch einen Gegenanstieg und dann geht es bergab. Für diese 14 km habe ich nur noch 25 Minuten Zeit. Es blinkt und es erscheint „Live bei Insta“ – „Die Stimmung ist Mega“. Ich muss das schaffen – daran geht nun kein Weg mehr vorbei. Ich denke mir „hey du bist 165 km mit mehr als 6.000 Höhenmeter gefahren, eine mega Leistung, aber beim letzten Zeitlimit wegen ein paar Minuten rauszufliegen, das wäre sehr ärgerlich. Das willst du nicht. Wenn du das schaffst, dann darfst du ins Ziel fahren, du besiegst den Teufel.“ Also wieder Vollgas – was halt noch geht – den Gegenanstieg rauf und dann die Abfahrt wieder runter. Zunächst kommt ein Trail, dann auf Schotter und dann die Teerstrasse runter. Erinnerungen an das Cape Epic kommen, als wir im Team schon mal eine Abfahrt mit Highspeed runter mussten, um das Zeitlimit zu schaffen. Und wie in Südafrika schaffe ich es auch heute. Exakt um 18:42 Uhr erreiche ich das Zeitlimit bei KM 165 – 3 Minuten vor der maximalen Zeit. Ich habe es tatsächlich geschafft, es fühlt sich schon wie der erste Sieg des Tages an.

„Den Sieg sicher nach Hause fahren“

Am liebsten würde ich schon jubeln, aber es müssen erst noch weitere 38 km gefahren werden. 3 andere Fahrer sitzen bzw. liegen an der Verpflegung und sehen alle gar nicht mehr gut aus. Ich fahre alleine weiter und lasse die 3 hinter mir. Ein letzter Anstieg mit nochmals knapp 600 Höhenmetern. Mit dem letzten geschafften Zeitlimit kommt neue Motivation in mir auf, die Kräfte werden nach knapp 14 Stunden auf dem Bike immer weniger. Aber nun hält mich nichts mehr auf. Teilweise fahre ich, vieles muss ich schieben – alles egal. Jetzt nur keine Panne mehr und vor allem keinen Sturz hinlegen. Nachdem der Schlussfahrer -der erste wurde inzwischen ausgetauscht- für mich nicht mehr zu sehen ist, weiss ich, es sind noch Teilnehmer hinter mir. Irgendwann ist auch dieser Anstieg gemeistert. Die letzte lange Abfahrt – die Sonne geht langsam unter und es wird merklich kühler. Also Regenjacke an und sicher die Abfahrt runter. Unten kommt noch eine allerletzte Verpflegung. Das Angebot war immer noch vielfältig, das kennt man so bei fast keinem Rennen. Alle sprechen mir motivierende Worte zu. Auf die Frage was ich möchte, antworte ich „eine Pizza und ein Gösser Radler“. Alle lachen, Pizza gibt es leider nicht, aber das Radler steht im Nu geöffnet vor mir. Ich lehne es mit einem Lächeln ab, keinen Alkohol während des Rennens. Nicht mehr weit und nur noch knapp 20 km, dann gibt es kein Halten mehr. Von nun an wird es immer dunkler und ich wünsche mir eine Beleuchtung. Ich muss noch 2 längere Abschnitte auf der Straße fahren und ohne Beleuchtung fühle ich mich alles andere als sicher. Ich bin froh, als endlich ein Gehweg kommt und damit diese Gefahrenzone gemeistert ist. Kurz vor dem Ende geht es noch einen Trail im Wald entlang, hier ist es stockfinster und total matschig. Ich kann nichts sehen und hoffe, dass nirgends ein großer Stein oder ein großes Loch kommt. Ich will unter keinen Umständen auf den letzten Kilometern stürzen. Endlich komme ich erlösend aus dem dunklen Wald und auf bekannte Streckenabschnitte des Tages.

„Emotionen und Gänsehaut pur“

2 km vor dem Ziel meint ein Streckenposten zu mir, „genieße was nun passiert“. Es ist noch total ruhig und ich kann den Gedanken kaum fassen, gleich über diese Ziellinie zu fahren. Ich habe es fast geschafft. Dann plötzlich höre ich die Musik, sie wird immer lauter, der Stadionsprecher peitscht das Publikum nochmals an und dann fahre ich um die Kurve und kann es nicht glauben. Ich bin fassungslos, was ich sehe: Auf den letzten 500 Metern stehen mehr als 1.000 Menschen, die einen riesigen Lärm machen und den Fahrer – also mich – frenetisch feiern, so als würde ich dieses Rennen gewinnen bzw. die Weltmeisterschaft gewinnen. Ich sehe Feuerbälle, Bengalos und alle jubeln. Ich bin überwältigt und weiß nicht, wohin mit meinen Gefühlen. Gänsehaut pur. Dann kommt der Zielbogen und direkt dahinter steht er – der Teufel – heute habe ich ihn besiegt. Dann bekomme ich plötzlich eine brennende Bengalo in die Hand gedrückt und ich stehe gemeinsam mit dem Teufel vor den Fotografen. Unfassbar. Alles läuft ab wie im Film. Dann kommen meine Freunde Marc und Nicole und T-Racer auf mich zu, die mich umarmen und die sich riesig mit mir freuen. Die Stimmung, die Freude, die Glücksgefühle, die Emotionen, einfach der Hammer. Ich muss dann erst einmal raus aus der Menschenmenge, alle gratulieren mir, alle zollen Respekt, auch vor der Leistung der letzte Fahrer zu sein.

Sport ist etwas Wunderbares. Diese Anerkennung macht mich unendlich stolz. Ich muss dann erst einmal meine Frau anrufen und mich mit ihr freuen. Sie unterstützt mich immer mega, vor allem auch mental. Wenn jemand an einen so feste glaubt, dann kann es nur klappen. Insgesamt habe ich an dem Tag zur Motivation von ihr über 170 SMS erhalten. Diese Motivation sowie die vielen positiven Gedanken im Kopf, haben mich die Strapazen überwinden und durchhalten lassen. Ich kann nun mit Stolz das schwarze A-Strecken Finisher-Shirt tragen – es war ein unfassbarer Tag, auch wenn ich unterm Strich als Vorletzter das Ziel mit einer Gesamtzeit von 16:40 Stunden erreicht habe. Was ich bei der Zieleinfahrt erleben durfte, konnte kaum ein anderer Fahrer erleben. Diese Gefühle, diese Emotionen kann man nicht beschreiben, das muss man erleben und selbst spüren. Ich bin dankbar und werde das niemals vergessen.

203,8 km, 7.029 hm, 16:40 Stunden – der Teufel ist besiegt.

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