Endlich ist es soweit: Urlaub. Mit der Familie 2 Wochen in den Süden. Pfingstmontag sind wir nach Südtirol gereist. Die Anreise hat völlig problemlos geklappt und wir sind in St. Christina im Grödnertal herzlich von unseren Vermietern empfangen worden. Am Fuße des Langkofels befand sich unsere Ferienwohnung mit Blick auf Dantercepies und Secada.

Für mich stand am Samstag der HERO an. Eine Herausforderung, der ich mich gemeinsam mit Marcus gestellt habe. Die Langstrecke mit 86 Kilometern Länge und 4500 Höhenmetern verteilt auf 4 gewaltige und 2 etwas zahmere Anstiege sollte nicht im Vorbeigehen erledigt sein.
Ich hatte geplant, in den Tagen davor 2 – 3 Trainingseinheiten zu absolvieren, um mich an den Untergrund und die Höhe zu gewöhnen. Genau richtig, wie sich im Nachhinein herausstellte, denn die Berge dort sind lang und steil und unsere Ferienwohnung befand sich bereits auf ca. 1400 Metern Meereshöhe. Die Gipfel der Anstiege beim HERO sind dementsprechend noch höher bis ca. 2300 Meter über dem Meer. Das hatte deutlichen Einfluss auf die Leistung beim Biken.
Dienstag
Also bin ich wohlgelaunt am Dienstag in Richtung Dantercepies aufgebrochen, dem 1. Anstieg des Marathons ca. 700 Höhenmeter von Wolkenstein hinauf. Da es nicht meine erste Teilnahme war, kannte ich die Strecke bereits und nur zu gut ist mir erinnerlich, wie steil bereits der erste Anstieg ist. Zäh, mit schmerzenden Oberschenkeln trat ich hinauf, versuchte, die steilsten Stücke in der Mitte zu meistern, was mir auch gelang, doch fühlte es sich alles andere als souverän an. Sollte ich entgegen meiner Einschätzung doch nicht fit sein? Hatte ich ausreichend und richtig trainiert? Oder war ich bereits im Übertraining? Der Anstieg fiel mir schwer. Zu schwer. Naja, irgendwann war ich oben und freute mich auf die Trailabfahrt zurück nach Wolkenstein.
Es arbeitete in mir. Mehr als ich wollte. Zweifel suchten sich ihren Weg in meinen Kopf.
Mittwoch
Ich fahre rauf zur Seiser Alm und drehe eine weite Runde mit wunderschönen Panoramen. Im Winter war ich bereits hier, nun sah die Landschaft völlig verändert aus, so ohne Schnee. Alles grün, blauer Himmel, strahlend weiße Almwege. Ich mag das sehr. Es beruhigt mich. Die Kraft der Berge zu spüren und dabei seinem Hobby nachzugehen, ist wunderbar. Die Beine fühlten sich besser an als am Tag zuvor.
Donnerstag
Am Donnerstag habe ich dann noch einen Ausflug zur steinernen Stadt gemacht. Auch hier vor dem Langkofel spüre ich die Energie der Berge. Fast ein spiritueller Ort. Ich nahm die Family-Flowline im Bikepark und ließ es so richtig laufen bis hinunter nach Wolkenstein.
Freitag – Kids-Race
Am Freitag war Ruhetag – für mich jedenfalls. Frida sollte ihr allererstes Fahrradrennen bestreiten und war richtig heiß. Beim Kids-Hero galt es für die U7 eine Strecke von 1,3 Kilometern durch Wolkenstein zu absolvieren. Sage und schreibe 313 Kinder standen in mehreren Startblöcken bereit und warteten auf den Startschuss. Frida im HERO Trikot mittendrin, hochkonzentriert, nicht ansprechbar. Der Start wurde regelrecht zelebriert und dann setzte sich die bunte Meute in ihren grünen Trikots in Bewegung.

Ein tolles Erlebnis für mich, aber auch für Frida. Im Ziel war sie stolz wie Bolle und erzählte von ihrem Sturz, weil ein anderes Kind gegen ihren Reifen gefahren sei. Ein Polizist habe ihr gesagt, sie solle aufsteigen und weiterfahren. Das hat sie dann auch getan und im Ziel gab es eine schicke HERO Medaille.
Den Rest des Urlaubes hat sie ihre HERO Basecap nicht mehr abgesetzt und sofort nachgefragt, wann das nächste Rennen für sie stattfindet. Das sollte nicht lange auf sich warten lassen – aber das wird eine andere Geschichte.
Für mich galt es noch tüchtig Carboloading zu betreiben und zu versuchen mich etwas auszuruhen. Das Kinderrennen hat mich ein wenig von meiner eigenen Aufregung vor dem HERO abgelenkt, was guttat. Die Aufregung in mir hat sich nämlich nicht gelegt. Der supersteile Anstieg zur Porta Vescovo ließ mich innerlich zittern.
Es geht los. Start um 07:30 Uhr morgens.
Ich nutzte die 5 Kilometer zum Start, um mich warmzufahren und in mich hineinzuhorchen. Wie sind die Oberschenkel heute? Was macht der Rücken?
Vor dem Startblock traf ich Marcus und wir plauderten etwas miteinander und machten ein paar Fotos, bevor sich jeder von uns in seinen Startblock verdrückt hat.
Start! Es geht sofort und ohne Verzug bergauf. Ich suchte mir ein Hinterrad. Auf der Rückennummer stand Salvatore, ein Italiener offensichtlich. Sein Tritt sah ruhig aus. Er fand eine gute Linie und fuhr souverän im engen Fahrerfeld. Ich fühlte mich hinter ihm gut platziert. Ruhig, ganz ruhig fuhren wir den Berg hinauf. Die Startphase verlief sehr geordnet. Ich hatte das Gefühl, jeder weiß, was auf uns zukommt. Niemand attackierte wild vorwärts. Es bildeten sich 3 Linien und wir fuhren einfach nur bergauf.
Ich versuchte in dieses Flowgefühl zu gelangen, wo man einfach nur fährt, an nichts denkt, sich ausschließlich auf den Weg vor dem Vorderrad konzentriert. Ich schaute auf die Uhr. Wir waren bereits 25 Minuten unterwegs. Da war es, dieses Flowgefühl! Gerade noch im Startblock und nun schon auf halbem Wege zum Gipfel. Die letzten 20 Minuten sind erinnerungslos. Die Beine funktionieren. Später in der Auswertung habe ich gesehen, dass ich den Anstieg in derselben Zeit wie 2017 hochgefahren bin. Das bedeutet ca. 5 Minuten schneller als noch am Dienstag, wo ich mich so quälen musste. Es läuft.
Es folgte eine schöne lange Abfahrt von ca. 15 Minuten Dauer herunter nach Corvara. Ich hatte freie Fahrt und der Trail machte richtig Bock.
In Corvara ging es dann direkt unter einem Skilift auf Piste senkrecht den Berg hoch bis zur Passstraße. Diese galt es zu überqueren und auf der anderen Seite weiter auf einem schönen Schotterweg, welcher später eine supersteile Passage enthielt. Aufgrund der Trockenheit war der Schotter sehr rutschig und lose. Ich musste kurz absteigen, 50 Meter gehen und konnte schnell wieder aufsteigen.
Wir fuhren zur Pralongiahütte auf einer Hochebene. Hier bot sich ein traumhafter 360 Grad Rundumblick auf die umliegenden Berge. Zur Rechten der Sellastock, dahinter der Gletscher der Marmolata. Majestätisch, überwältigend. Ich freute mich.
Es folgte eine steile Schotterabfahrt, welche in einen Trail überging und auf der Passhöhe des Campolongo endete. Wir folgten der Passstraße ein Stück und bogen nach rechts ab in einen kurvenlosen direkten Trail runter nach Arabba. Ein wenig technisch und teils auch verblockt, aber insgesamt gut zu fahren. Für die meisten jedenfalls. Ich war etwas übermotiviert und konnte einen Sturz nur knapp vermeiden, als ich die Ideallinie verlassen musste, um schiebende Teilnehmer zu überholen. Die Bremse wurde weicher, ich musste dosieren. Nicht zu schnell werden, aber auch nicht zu stark bremsen.
Unten in Arabba gab es die zweite Verpflegung. Ich füllte den Rucksack auf und gönnte mir einen großen Schluck frisches, kaltes Wasser. Bis hierhin war ich bereits ca. 3 Stunden unterwegs.
Jetzt kam die Streckenteilung. Kurzstrecke und Mitteldistanz fahren direkt in Richtung Pordoipass, die Langstrecke weiter raus ins Tal in Richtung Ornella, wo der lange, steile Anstieg zur Porta Vescovo folgte. Das bedeutete für mich und alle Teilnehmer um mich herum ca. 400 Höhenmeter auf steinigem Untergrund schieben, bis die Füße schmerzen. An Fahren war dort nicht zu denken. Ein absoluter Horroranstieg. Wie ich den hasse. Absolut sinnlos. Ich spürte, wie sich an beiden Fersen erst Druckstellen und dann Blasen bildeten. So langsam machte es keinen Spaß mehr.
Irgendwann, nach gefühlter Ewigkeit, kam ich oben an. Es war heiß. Entgegen meiner Erinnerung, der Anstieg sei im waldigen Schatten, waren dort größtenteils keine Bäume mehr und die Mittagssonne brannte auf uns herab. Der Schweiß floss in Strömen und alles klebte. Obenraus wurde der Anstieg etwas flacher. Der übriggebliebene Wald lichtete sich und wir waren oberhalb der Baumgrenzen auf den grünen Almwiesen auf ca. 2300 Meter Höhe. Ein Wahnsinnspanorama und eine unvergleichliche Landschaft befand sich vor uns. Ich dachte wir wären oben, aber es ging auf den Skiwegen noch höher bis zur Verpflegung an der Porta Vescovo.
Es folgte ein nicht einfach zu fahrender Singletrail runter zur Pordoipassstraße. Ich bin mir nicht sicher, ob es der Bindelweg ist. Spaßig, aber teils sehr technisch. Aufgrund der inzwischen einsetzenden Müdigkeit saßen die Reflexe nicht mehr so wie gewohnt und ich musste mich sehr konzentrieren. Ich war fast alleine dort, andere Fahrer habe ich nicht gesehen.
Auf der Passstraße ging es dann noch ca. 200 Höhenmeter rauf zum Pass, wo wir in den Infinity-Trail eingebogen sind. Gleich zu Beginn gab es eine Schlüsselstelle, von der ich wusste, dass ich dort fahren kann. Doch aus irgendeinem Grund befand ich mich plötzlich in einer größeren Gruppe von Teilnehmern und alle stiegen ab und schoben ihr Bike runter. Leicht genervt habe ich mich meinem Schicksal gefügt und auch geschoben.
In der Folge ging es bis nach Canazei hinunter. Immer wieder schöne technische, aber nicht überfordernde Trails. Ein paar Schlüsselstellen, wo ich auf schiebende oder tragende Teilnehmer auffuhr, konnte ich mit etwas Geschick und vermutlich viel Glück fahrend meistern.
Konditionell reichlich angeknockt folgte der letzte große Brocken: der Anstieg zum Passo Duron. Erst angenehm mit gnädigen Steigungsprozenten auf Asphalt, aber dann steil auf losem Schotter hoch ins Durontal. Bis dahin lief noch reichlich Schweiß von meiner Stirn und die blasengeplagten Füße schmerzten von weiteren Schiebeeinlagen so sehr, dass ich an einer Bank in einem Steilstück kurz verweilte, die Schuhe auszog, ein Gel zu mir nahm und mich erholte.
Gequält ächzten andere Teilnehmer an mir vorüber. Hier hatten sich Mittel- und Langstrecke wieder vereint. Es war schwer auszumachen, wer sich mehr quälte. Das Leiden sah man den Teilnehmern beider Distanzen deutlich an.
Es hilft nichts, es muss weitergehen. So motivierte ich mich gedanklich und zog die Schuhe wieder an, klickte ein und fuhr weiter. Es war nicht mehr weit, bis die Steigung deutlich abflachte und es in einem Tal weiter Richtung Malknechtjoch ging. Die Steigung war kaum sichtbar, doch es rollte einfach nicht und leichter Gegenwind machte es umso schwerer. Kaum noch Kraft in den Muskeln der müden Oberschenkel, rollte ich mit einigen anderen Leidensgenossen vor mich hin.
Dann folgte der ruppig steile Schlussanstieg zum Joch. Hier lag mal Beton als Unterlage, mittlerweile sind davon nur noch lose Brocken übrig, zusammengehalten von der darin befindlichen Baustahlmatte. Fahren für mich unmöglich. Also wieder Füße malträtieren und schieben. Schließlich kamen neue, fahrbare Betonrampen und letztlich das ersehnte Joch.
Am Horizont konnte ich dunkle Wolken ausmachen und es grummelte. Ein Gewitter lag in der Luft. Schnell in die Abfahrt. Rasant auf Schotter durch die Kurven jagen, die gesamte Breite des Weges in den Kurven ausnutzen. Die Tretpause genießen. So jage ich gen Tal zur letzten Verpflegung.
Noch 10 Kilometer
Ein letzter kleiner Anstieg von 300 Höhenmetern. Das Gewitter rückte näher. Ein kurzes Gespräch mit einem der wenigen deutschen Teilnehmer und weiter. Entgegen meiner Teilnahme von 2017 gelang es mir, den letzten Anstieg zu fahren. Es war Willenskraft pur und getrieben von dem Wunsch, nicht durch einen Rennabbruch in letzter Sekunde aufgrund des aufziehenden Gewitters ein DNF in der Ergebnisliste stehen zu haben, riss ich mich zusammen und kurbelte mich in einen meditativen Zustand.
Die letzten Kilometer bis ins Ziel zogen sich dahin wie zäher Kaugummi. Ständige kleine Gegenanstiege forderten mich bis zum Schluss. Schwere, kalte Regentropfen fielen auf mich herab. Das Gewitter kam immer näher. Es wurde dunkel im Wald. Die Sonnenbrille wollte ich nicht absetzen, obwohl ich kaum etwas gesehen habe. Endlich, der letzte Trail, kurz vor dem Ziel etliche Fotofallen am Wegesrand, Blitzlichtgewitter, oder waren es echte Blitze?
Ziel
8:41 h. Meine Mädels stehen frierend im Ziel und empfangen mich. Es durchströmen mich Glückhormone. Ich bin high, obwohl ich völlig fertig bin. Noch schnell die Siegerpose mit Foto vor der HERO Leinwand und dann schnell ins Appartement rollen.

Geschafft
Es war ein langer Tag auf dem Bike. Es hat Spaß gemacht, in dieser Landschaft im Unesco Weltnaturerbe Fahrrad zu fahren. Ich empfinde es als Privileg, in dieser Natur Fahrradfahren zu dürfen. Die Anstiege sind äußerst fordernd und die Abfahrten abwechslungsreich, teils gebaut, teils naturnah angelegt. Für mich nach wie vor mein absolutes Lieblingsrennen. Toll organisiert. Man merkt, dass die gesamte Region voll dahintersteht und man als Mountainbiker willkommen ist.
Ich kann jedem wärmstes ans Herz legen, diesen Marathon einmal zu fahren. Es muss nicht unbedingt die Langstrecke sein.
Ich werde wiederkommen!