Die Saison 2025 ist in vollem Gange. Meine Meilensteinagenda hat bereits ein paar erfolgreiche Haken bekommen. Andalusien: check! Trainingslager Mallorca: check!
Nun stand also die vorerst größte Herausforderung für mich an. Niemals zuvor bin ich 24 Stunden lang Fahrrad gefahren. Zurückblickend weiß ich ehrlich gesagt nicht mehr, wie ich auf die Idee zur Teilnahme überhaupt gekommen bin. Aber wie dem auch sei: Nach überwundener Anmelderitis steht mein Name in der Meldeliste und das bedeutet für mich eben auch, dass eine aktive Teilnahme am Rennen obligatorisch ist. Nur zu leicht wäre es gewesen eine Ausrede zu finden, um doch nicht starten zu müssen, denn die Zweifel, ob das für mich das richtige Format ist, ja die haben sich in den letzten Wochen in meinen Kopf eingeschlichen.
Zum Glück hat Axel mir diesen Zahn ganz schnell gezogen und nun standen wir am Samstag pünktlich um 14:00 Uhr an der Startlinie auf dem Campingplatz am Alfsee.
Vorgedanken
Zu wissen, dass ich innerhalb der nächsten 24 Stunden meine Runden auf der ca. 12km langen Strecke um den Alfsee drehen werde, ohne eine Ahnung zu haben, was da an Kilometern und Belastung auf mich zukommt, war (und ist auch heute noch) schwer für mich einzuordnen. Ich brauche Streckendaten. Start an Punkt A, Ziel an Punkt B, Summe X an Kilometern und los geht es. Ein definiertes Ziel vor Augen. Ab Start wird die noch zu absolvierende Strecke kürzer.
Beim 24h Rennen wird zwar die noch zu absolvierende Zeit zu fahren weniger, aber ich weiß nicht wie viel Strecke ich fahren werde. In meiner Vorstellung macht mich die Strecke, die ich fahren muss, müde. Nicht die noch zu absolvierende Zeit. Strecke kostet Energie. Zeit vergeht von selbst, immer gleich schnell oder langsam. Es war also für mich alleine vom Mindset schon eine Herausforderung, nicht zu wissen, wie weit ich fahren werde. Aus diesem Grund hatte ich mir vorgenommen, 20 Runden zu fahren. Das war mein Ziel. 20 Runden mal 12 Kilometer, in Summe also 240 Kilometer Strecke. Daran habe ich mich festgehalten.
Wie wird die Strecke wohl sein?
Wie schwierig das werden würde, konnte ich mir am Start dennoch nicht vorstellen, denn ich wusste nicht, dass die Strecke rund um den Alfsee derart anspruchsvoll zu fahren ist. Klar, ich hatte mich informiert. Die Stecke soll brutal hart sein. Aber was bedeutet das? Wie oft habe ich solche Aussage vor Rennen schon gehört und am Ende habe ich auf die Schwierigkeiten gewartet und sie waren einfach nicht da. Solche Aussagen sind meist sehr subjektiv und individuell je nach Empfinden des Erzählers geprägt. Insofern sind solche Angaben für mich im Vorfeld schwer zu bewerten.
Ja, die Strecke ist hart!
Viele kleine Trails in kleinen Wäldchen im Stangenslalom um die engstehenden Bäume, Wiesenpfade mit übelst buckeligem Untergrund. Kleinere Steilauffahren auf den Deich und wieder herunter forderten maximale Konzentration, vor allem in der Nacht als es dunkel und kalt wurde. Extreme Trockenheit und Staub ließen die Atemwege austrocknen, so dass ich ziemlich viel husten musste.
Im Vorfeld hatte ich mir verschiedene Strategien ausgemalt:
Eine davon war, zeitbasiert heranzugehen. Zum Beispiel 4 Stunden fahren und dann eine Stunde Pause.
Oder Rundenbasiert zu denken. 5 Runden fahren und dann Pause.
Oder kilometerbasiert zu denken. Alle 50 Kilometer Pause.
Viele kleinere Pausen oder eine oder zwei etwas längere…
Es kam natürlich völlig anders.
Eine gleichmäßige Einteilung war für mich nicht durchführbar. Zu viele kleine Pläsierchen und äußere Umstände führten zu einem unkonventionellen Ablauf. Nach 3 Runden war die erste Flasche leergetrunken und veranlasste mich zu einer kurzen Pause, um eine neue Flasche zu holen. Zwei weitere Runden später war eben diese auch wieder leergetrunken und Flasche 3 wurde geholt.
Das waren 5 Runden und die ersten 60 Kilometer. Und ich war schon reichlich müde von den zahlreichen Steilrampen auf den Deich. Dieser musste zwölfmal pro Runde erklommen werden. Unter 350 – 400 Watt war das nicht möglich, so dass eine Menge Ressourcen investiert werden mussten.
Zwischen den Steilrampen gab es kaum Erholungsmöglichkeit. Kleinere Trails und Wiesenstücke saugten weitere Energie aus den Speichern. Lediglich auf der Rückseite des Sees gab es ein paar gepflasterte Flachstücke, wo man kurz entspannen konnte. Ich fuhr tapfer 8 Runden und begann dann die garstigste dieser Steilrampen hochzuschieben. Das sparte Ressourcen und war nicht langsamer als Fahren.
Wie weit bin ich?
Ich muss gestehen, dass ich ab der 8. Runde auch nicht mehr wusste wie viele Runden ich gefahren bin. Die nötige Konzentration aufs Renngeschehen und die Strecke kostete ebenfalls viel Energie. Die Gedanken sprangen hin und her. Ich fing an Musik über die Kopfhörer zu hören, bis ich davon genervt war. Und so fuhr ich Runde um Runde, lutschte jede Runde ein Gel mit 50 Gramm Kohlenhydraten und trank fleißig meine Fläschchen leer.
Bis um 21:00 Uhr die Beleuchtung verpflichtend eingeschaltet werden musste.
Also nächste Pause und Beleuchtung montieren. Zeitgleich waren Axel, Mark und Thomas ebenfalls im Camp und es gelüstete uns nach Grillgut. Also haben wir den Grill angeschmissen und ein paar Würste und Steaks verputzt, bis es kurz vor 22:00 Uhr weitergehen sollte. Ich fuhr noch 3 Runden und war um 23:45 Uhr völlig fertig und begann zu frieren. Die Flasche war auch leer, also bin ich ins Camp um mich anzuziehen, kurz auszuruhen, die Flasche zu wechseln und dann weiter. Habe ich alles gemacht. Aber weiterfahren war nicht möglich. Nur ganz kurz habe ich mich auf die Relaxliege gelegt. Dann meine dicke Winterjacke angezogen. Mütze auf, Halstuch, Socken gewechselt, in den Schlafsack gekrochen und zack war es 04:45 Uhr. Fünf Stunden ungeplante – aber nötige– Ruhe sorgten für etwas Erholung des Körpers, und vor allem der Geist konnte sich entspannen. Das war bitternötig, hatte ich mich doch bereits vorher zwingen müssen immer weiter zu fahren.
Um 05.00 Uhr fuhr ich dann weiter.
Und es sollte ein wunderbarer Tag werden. Noch 9 Stunden bis zum Ziel. Eine fassbare, überschaubare Zeit. Mit der Erfahrung der vorangegangenen Runden gelang es mir, mich zu motivieren und weiterzufahren. Weiter, weiter, immer weiter. So waren die Anfeuerungsrufe der anderen Teilnehmer.
Die anderen Teilnehmer! Wahnsinn.
Neunundneunzig Prozent aller anderen Teilnehmer gingen mit uns Einzelfahrern sehr respektvoll um. Auch wir Einzelfahrer untereinander fanden immer wieder aufmunternde Worte. Weiter, weiter, immer weiter habe ich häufig gehört. Wenige Worte, aber absolut zutreffend. Auf den Punkt gebracht. Beim 24h Solo geht es einzig und allein darum weiterzumachen. Nicht aufzustecken. Weiter, weiter, immer weiter.
Es lief bei mir.
Nach 2 Runden einen schnellen Kaffee am Camp und weiter. Flaschen wechseln und weiter. Warme Sachen ausziehen und weiter. Runde um Runde spulte ich ab. Bei der Zieldurchfahrt hing die Uhr und zählte rückwärts. 17, 18, 19 Runden – nur noch eine, dann habe ich meine 20 als Ziel gesteckten Runden erreicht. Ich war gut drauf. Kein Körperschmerz mehr. Der Rücken war wieder gnädig, die Beine kurbelten Rampe um Rampe hoch, immer weiter. Das Rad knarzte unter mir. Man, hatte mich das zwischendurch genervt. Jetzt war es egal. Ich fahre weiter.
Persönliches Ziel erreicht: 20 Runden.
Die Uhr zeigt noch 46 Minuten an. Ok. Jetzt aufhören wäre völliger Unfug. Ich schaffe noch eine Runde. 21 Runden werden es am Ende sein. Eine mehr als ich wollte bei meiner ersten Teilnahme eines solchen Formats. Cool. Ich war zufrieden mit mir.
Und dann fing ich an zu rechnen. 46 Minuten hatte ich noch Zeit. Ca. 40 Minuten brauche ich für eine Runde. Oh Nein. Ich muss noch eine Runde fahren! 22 Runden. Völlig absurd. Wie ziehe ich meinen Kopf aus der Schlinge? Vor Ablauf der 24 h aufhören kam überhaupt nicht in Frage. Also versuchte ich, die letzte Runde so genussvoll zu fahren wie es ging. Ich fing an zu bummeln. Verabschiedete mich von jeder Rampe. So, Du hast mich das letzte Mal gequält. Tschüss. Von jeder ruppeligen Wiesenpassage. So, Du hast mir das letzte Mal sprichwörtlich den Arsch versohlt. Ciao!
Und so fuhr ich die letzte Runde mit großer Zufriedenheit und stellte fest, ich bin zu schnell. Ich muss noch langsamer. In einem Trail fuhr ich auf einen Solofahrer auf. Dieser wollte trotz der Engstelle sofort Platz machen, um mir ein Überholen zu ermöglichen. Ich lehnte dankend ab und blieb dahinter. Er fing eine kurze Konversation über seine körperliche Verfassung an und zwang mich förmlich zum Überholen.
Die letzten 3 Kilometer.
Ein Hochgenuss sondergleichen. Es war warm, die Menschen am Streckenrand jubelten und ich fuhr über die kleine Brücke auf den Campingplatz mitten in eine Traube mehr oder weniger wartender weiterer Solofahrer auf. Diese hatten den gleichen Plan wie ich: die mögliche weitere Runde vermeiden. Und so bummelten wir gemeinsam die letzten 500 Meter zum Ziel und ich fuhr bei 24Stunden und 50 Sekunden über den Zielstrich.
Erleichterung machte sich in mir breit und plötzlich stand Mr. Wade vor mir, hielt mir die Kamera ins Gesicht und zwang mir ein kurzes Statement ab. Völlig konsterniert stammelte ich ein paar Worte ins Mikro und sank dann völlig fertig über dem Lenker zusammen.
Fazit
Mit einer Gesamtbewegungszeit von 15:03 Stunden habe ich 265 Km absolviert.
Rückblickend weniger Fahrzeit, als ich vorher eingeplant hatte. Aber die Pause in der Nacht war nötig und hat die Ruhezeit auf nahezu 9 Stunden erhöht. Ich hatte gehofft, ca. 18 Stunden aktive Zeit zu haben. Aber egal, es ging nicht um Platzierung, sondern ich wollte Erfahrung sammeln und fühlen wie weit ich kommen kann.
Ich bin sehr zufrieden mit meiner Leistung und am Ende schaut man doch auf die Ergebnisliste: 21 Runden haben für Platz 41 von 150 Finishern gereicht. Cool. Vorderes Drittel ist für mich fein. Sicherlich wären mit etwas mehr Verbissenheit und mentaler Stärke noch ein paar Runden mehr möglich gewesen. Axel hat es beeindruckend vorgemacht, aber am Ende sitze ich jetzt beim Verfassen dieser Zeilen hier und bin körperlich besser beieinander als ich im Vorfeld befürchtet habe. Klar, das Sitzfleisch hat etwas gelitten und die Finger fühlen sich etwas „rheumatisch“ an, aber ansonsten ist alles Tutti.
Mache ich es wieder?
An dieser Stelle verweise ich auf unseren Zweibrüder Podcast, wo Axel und ich unter anderem zu dieser Frage Stellung beziehen.