Halb 5 Uhr morgens und es regnet. Wir haben endlich das Handy mit der Blueetoth Box verbunden und beschallen das halbe Camp:
In dieser Nacht voll Unvernunft!
Egal was uns auch betrübt,
es wird weitergehen heut‘ Nacht.
Ist der Kopf auch leer
und die Beine schwer
hast du guter (…).
Lass den Kopf nicht hängen,
dich von niemand dräng‘.
Wir sind noch wach,
es ist noch nicht vorbei!
Während aus Daniels Rückentasche ebenfalls Musik dudelt, empfangen wir ihn gegen halb 5 mit dem von ihm geposteten Egotronic Song zu einer längeren Pause. Meine erste Info an ihn ist die, die in der letzten Runde vor lauter Hektik untergegangen ist: Platz 3 in der Altersklasse! Ganz knapp, aber Platz 3! Erste Reaktion: „Jetzt macht mir doch keinen Druck!“ Können wir doch nix dafür, wenn du so flott unterwegs bist!
Die Pause dauert lange und besteht aus Sitzen und einer erneuten gefühlt ewig langen Nackenmassage. Ich traue mich nicht zu sagen, dass meine Daumen weh tun und die Unterarme schwer sind – was könnte ich jemandem, der seit fast 19 Stunden auf dem Rad sitzt, schon über Schmerzen erzählen?
Daniel will über Platz 3 nichts weiter hören, will nicht nach vorne schauen, sondern nur hinter sich einen Puffer haben und den ziemlich ungefährdeten fünften Platz über die Zeit retten. Er fragt nach den Abständen und wir befürchten, wenn wir ihm zu viel über den Fünft- und Sechstplatzierten erzählen, parkt er um 8 Uhr sein Rad bei uns, legt sich für zwei Stunden hin und rollt dann nur noch über die Ziellinie. Das Team beschließt deshalb, dass Platz 3 nicht verschenkt wird. Es ist noch nicht vorbei!
Sobald er wieder zurück auf der Strecke ist, stiefele ich zurück zum Media Raum, um das letzte Update zu posten. Weil drinnen alle auf dem Fußboden schlafen, bleibe ich draußen sitzen und errege mit dem Laptop die Aufmerksamkeit von zwei Portugiesen, die sich nach den Zwischenergebnissen erkundigen. Online gibt es leider noch nichts Neues, aber zufällig sitzt neben uns einer der Offiziellen und versorgt uns mit den nötigen Infos. Vorsprung ausgebaut!
Halb 6. Ich bin fertig mit Tippen und es wird hell. Endlich! Ab jetzt sollte es einfacher werden. Die Nacht ist gemein und dunkel und legt sich wie ein schwerer, düsterer Schleier ausnahmslos über alles. Ab jetzt ist die Dämmerung stärker.
Am Camp bekommen wir Besuch von 2er-Teamfahrer Marco, der nirgendswo sonst Kaffee gefunden hat (kein Wunder, wenn alle in der Gastro schlafen). Wir wären ja nicht Coffee & Chainrings, wenn wir nicht innerhalb kürzester Zeit Kaffee zaubern könnten. Praktischerweise bleibt Marco lange genug, so dass wir ihm stecken können, dass die Crew Platz 3 will und Daniel noch nicht so richtig. Und als eben der dann das nächste Mal bei uns vorbei radelt und beim Helmwechsel (endlich weg mit dem Akku in der Tasche!) beiläufig nach der Platzierung fragt, kommt von Marco wie aus der Pistole geschossen: „Du bist auf Platz 2!“ – „Verarsch mich nicht!“ Auch nach 20 Stunden funktioniert das Hirn also noch. Dass sich Daniel im Wegfahren (nicht ohne Marco vorher mit einem Riegel abzuwerfen) noch nach der Nummer des Viertplatzierten erkundigt, werten wir mal als steil nach oben zeigende Motivationskurve. Endlich ist es wieder hell und der Ehrgeiz ist zurück. Es ist noch nicht vorbei!
Wenig später bekommen wir Besuch von Marcos Teampartnerin Marie, der Ansgar vorhin schon bei der Radreparatur geholfen hatte. Sie ist auch sichtlich platt, möchte aber nicht aufgeben, sondern sich nur kurz aufpäppeln lassen. Dafür sind wir doch gerne da! Wir versuchen, ihr den Aufenthalt im Coffee & Chainrings Crewcamp mit Kaffee und Tofu aus dem Kühlschrank für die Druckstellen vom Helm so angenehm wie möglich zu machen (für nächstes Mal auf die Packliste schreiben: Kühlpacks!).
Mittlerweile ist auch Daniels Familienanhang wieder wach und passenderweise kommt er bald am Camp vorbei. Bei einem Schluck Kaffee im Stehen verkündet er, dass er noch zwei Runden normal fahren wird und dann für die voraussichtlich letzte Runde Ansgar als Begleitung mitnehmen möchte, der mit seinem Mediapass auch auf die Radstrecke darf. Vermutlich entstehen in diesen Momenten die letzten Bewegtbildaufnahmen auf der hammerharten 10-km-Strecke, auf der Daniel inzwischen wahrscheinlich jeden einzelnen Stein kennt. Im Hellen und im Dunkeln. Der absolute Wahnsinn. Wir melden uns das nächste Mal nach der Zieleinfahrt!